Шрифт:
Nur ein einziges, kleines Stьck Lachs kцnnte nicht schaden, wenn sie morgen frьh sowieso anfing, richtig zu fasten. Aber nein, sie war stark! Sie dachte daran, wie oft sie sich schon vorgenommen hatte, nichts zu essen oder sich wenigstens zurьckzuhalten, und immer wieder war sie schwach geworden. Aber diesmal nicht! Diesmal war es ganz anders. Mit der grцЯten Ruhe wьrde sie zusehen, wie ihr Bruder das Essen in sich hineinstopfte, wie ihre Mutter die Suppe lцffelte und sie gleichzeitig laut lobte. Es wьrde ihr nichts ausmachen, wenn ihr Vater in seiner pedantischen Art dicke Scheiben Schinken gleichmдЯig auf das Brot verteilte und es dann noch sorgfдltig mit kleinen, in der Mitte durchgeschnittenen Cornichons verzierte. Das alles wьrde ihr diesmal nichts ausmachen. Diesmal wьrde sie nicht mehr auf dem Heimweg nach der Schule vor dem Delikatessengeschдft stehen und sich die Nase an der Scheibe platt drьcken. Sie wьrde nicht mehr hineingehen und fьr vier Mark Heringssalat kaufen, um ihn dann hastig und verstohlen im Park mit den Fingern in den Mund zu stopfen. Diesmal nicht!
Und nach ein paar Wochen wьrden die anderen in der Schule sagen: Was fьr ein hьbsches Mдdchen die Eva ist, das ist uns frьher gar nicht so aufgefallen. Und Jungen wьrden sie vielleicht ansprechen, so wie andere Mдdchen, und sie einladen, mal mit ihnen in eine Diskothek zu gehen. Und Michel wьrde sich richtig in sie verlieben, weil sie so gut aussah. Bei diesem Gedanken wurde ihr warm. Sie hatte das Gefьhl zu schweben, leicht und schwerelos in ihrem Zimmer herumzuglei-ten. Frei und glьcklich war sie.
Eine kleine Scheibe Lachs wдre jetzt schцn. Eine ganz kleine Scheibe nur, lange hochgehalten, damit das Цl richtig abgetropft war. Das kцnnte doch nicht schaden, wenn sowieso jetzt alles gut wьrde, wenn sie sowieso bald ganz schlank wдre.
Leise erhob sie sich und schlich in die Kьche. Erst als sie die Tьr hinter sich zugezogen hatte, drьckte sie auf den Lichtschalter. Dann цffnete sie den Kьhlschrank und griff nach der Dose Lachs. Drei Scheiben waren noch da. Sie nahm eine zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt sie hoch. Zuerst rann das Цl in einem feinen Strahl daran herunter, dann tropfte es nur noch, immer langsamer. Noch ein Tropfen. Eva hielt die dьnne Scheibe gegen das Licht. Was fьr eine Farbe! Die Spucke sammelte sich in ihrem Mund und sie musste schlucken vor Aufregung. Nur dieses eine
Stьck, dachte sie. Dann цffnete sie den Mund und schob den Lachs hinein. Sie drьckte ihn mit der Zunge gegen den Gaumen, noch ganz langsam, fast zдrtlich, und fing an zu kauen, auch noch langsam, immer noch genьsslich. Dann schluckte sie ihn hinunter. Weg war er. Ihr Mund war sehr leer. Hastig schob sie die beiden noch verbliebenen Scheiben Lachs hinein. Diesmal wartete sie nicht, bis das Цl abgetropft war, sie nahm sich auch keine Zeit, dem Geschmack nachzuspьren, fast unzerkaut verschlang sie ihn.
In der durchsichtigen Plastikdose war nun nur noch Цl. Sie nahm zwei Scheiben WeiЯbrot und steckte sie in den Toaster. Aber es dauerte ihr zu lange, bis das Brot fertig war. Sie konnte es keine Sekunde lдnger mehr aushaken. Ungeduldig schob sie den Hebel an der Seite des Gerдtes hoch und die Brotscheiben sprangen heraus. Sie waren noch fast weiЯ, aber sie rochen warm und gut. Schnell bestrich sie sie mit Butter und sah fasziniert zu, wie die Butter anfing zu schmelzen, erst am Rand, wo sie dьnner geschmiert war, dann auch in der Mitte. Im Kьhlschrank lag noch ein groЯes Stьck Gorgonzola, der Lieblingskдse ihres Vaters. Sie nahm sich nicht die Zeit, mit dem Messer ein Stьck abzuschneiden, sie biss einfach hinein, biss in das Brot, biss in den Kдse, biss, kaute, schluckte und biss wieder.
Was fьr ein wunderbarer, gut gefьllter Kьhlschrank. Ein hartes Ei, zwei Tomaten, einige Scheiben Schinken
und etwas Salami folgten Lachs, Toast und Kдse. Hingerissen kaute Eva, sie war nur Mund.
Dann wurde ihr schlecht. Sie merkte plцtzlich, dass sie in der Kьche stand, dass das Deckenlicht brannte und die Kьhlschranktьr offen war.
Eva weinte. Die Trдnen stiegen ihr in die Augen und liefen ьber ihre Backen, wдhrend sie mit langsamen Bewegungen die Kьhlschranktьr schloss, den Tisch abwischte, das Licht ausmachte und zurьck ging in ihr Bett.
Sie zog sich das Laken ьber den Kopf und erstickte ihr Schluchzen im Kopfkissen.
5
Am nдchsten Morgen wachte Eva mit brennenden Augen auf. Erst wollte sie zu Hause bleiben, im Bett liegen, krank sein, sie wollte nicht aufstehen und wieder in der Schule sitzen, leidend und verbittert, und sich an die letzte Nacht erinnern. Und an die vielen Nдchte davor.
Mьde zog sie das Laken ьber sich.
Die Mutter kam herein. »Aber Kind, es ist schon sieben. Steh doch endlich auf!« Und als Eva keine Anstalten machte, das Laken vom Kopf zu ziehen: »Fehlt dir was? Bist du krank?«
Eva setzte sich auf. »Nein.«
»Aber Kind, hast du was? Was ist denn los?« Die Mutter war auf Eva zugekommen und hatte die Arme um sie gelegt. Einen Moment lang, einen winzigen Moment lang, lieЯ sich Eva in diese Arme fallen. Die Mutter roch warm und gut, noch ohne Blendamed und Haarspray.
Doch dann hatte sie sich wieder in der Gewalt. »Ich habe schlecht geschlafen«, sagte sie. »Das ist alles.«
In der Schule war es wie immer, seit Franziska neu in die Klasse gekommen war, Franziska, die seltsamer-weise noch immer neben Eva saЯ, nach vier Monaten immer noch.