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Ich glaube, ich h"atte sie stundenlang alle angesehen: da rief mich die Mutter hinein. Den ganzen Abend dann musste ich an Dich denken; noch ehe ich Dich kannte. Ich besass selbst nur ein Dutzend billige B"ucher, die ich "uber alles liebte und immer wieder las. Und nun habe ich gedacht, wie der Mensch sein m"usste, der all diese vielen herrlichen B"ucher besass und gelesen hatte, der alle diese Sprachen wusste, der so reich war und so gelehrt [16] zugleich. Damals in jener Nacht und noch ohne Dich zu kennen, habe ich das erste Mal von Dir getr"aumt. Am n"achsten Tage zogst Du ein, aber ich konnte Dich nicht zu Gesicht bekommen – das steigerte nur meine Neugier. Endlich, am dritten Tage, sah ich Dich, und wie ersch"utternd [17] war die "Uberraschung f"ur mich, dass Du so anders warst. Einen bebrillten Greis [18] hatte ich mir getr"aumt, und da kamst Du – Du, ganz so, wie Du noch heute bist! Du trugst ein hellbrauner, entz"uckender Sportdress und liefst in Deiner unvergleichlich leichten knabenhaften Art die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Ich erschrak vor Erstaunen, wie jung, wie h"ubsch, wie federnd-schlank und elegant Du warst. Und ist es nicht seltsam: in dieser ersten Sekunde empfand ich ganz deutlich, dass Du irgendein zwiefacher [19] Mensch bist. Unbewusst empfand ich, was dann jeder bei Dir sp"urte, dass Du ein Doppelleben f"uhrst, ein Leben mit einer hellen, der Welt offen zugekehrten Fl"ache, und einer ganz dunkeln, die Du nur allein kennst – diese tiefste Zweiheit, das Geheimnis Deiner Existenz, sie f"uhlte ich, die Dreizehnj"ahrige. Verstehst Du nun schon, Geliebter, was f"ur ein Wunder, Du f"ur mich, das Kind, sein musstest!
16
gelehrt – образованный
17
ersch"utternd – поразительный
18
Greis – старый
19
zwiefach – двойственный
Muss ich Dir noch sagen, dass von diesem Tage an in unserem Hause, in meiner ganzen armen Kinderwelt mich nichts interessierte als Du. Ich beobachtete Dich, beobachtete die Menschen, die zu Dir kamen, und all das vermehrte nur, statt sie zu mindern, meine Neugier nach Dir selbst, denn die ganze Zwief"altigkeit Deines Wesens [20] dr"uckte sich in der Verschiedenheit dieser Besuche aus. Da kamen junge Menschen, Kameraden von Dir, mit denen Du lachtest, abgerissene Studenten, und dann wieder Damen, die in Autos vorfuhren, einmal der Direktor der Oper, der grosse Dirigent, dann wieder kleine M"adel, die noch in die Handelsschule gingen. Ich dachte mir nichts Besonderes dabei, auch nicht, als ich eines Morgens, wie ich zur Schule ging, eine Dame von Dir weggehen sah – ich war ja erst dreizehn Jahre alt, und die leidenschaftliche Neugier wusste im Kinde noch nicht, dass sie schon Liebe war. Aber ich weiss noch genau, mein Geliebter, den Tag und die Stunde, wann ich ganz und f"ur immer an Dich verloren war. Ich hatte mit einer Schulfreundin einen Spaziergang gemacht, wir standen plaudernd vor dem Tor. Da kam ein Auto angefahren, hielt an, und schon sprangst Du mit Deiner ungeduldigen Art vom Trittbrett und wolltest in die T"ur. Unwillk"urlich [21] zwang es mich, Dir die T"ur aufzumachen. Du sahst mich an mit warmen, weichen Blick, der wie eine Z"artlichkeit war, l"acheltest mir und sagtest mit einer ganz leisen und fast vertraulichen Stimme: „Danke vielmals, Fr"aulein.“
20
Wesen, n – существо
21
unwillk"urlich – невольный, непреднамеренно
Das war alles, Geliebter; aber von dieser Sekunde, seit ich diesen weichen, z"artlichen Blick gesp"urt, war ich Dir verfallen. Ich habe ja sp"ater erfahren, dass Du diesen Blick des geborenen Verf"uhrers, jeder Frau hingibst, die an Dich streift. Aber ich, das dreizehnj"ahrige Kind, ahnte das nicht: ich war wie in Feuer getaucht. Ich glaubte, die Z"artlichkeit gelte nur mir, nur mir allein, und in dieser einen Sekunde war die Frau in mir erwacht. „Wer war das?“ fragte meine Freundin. Ich konnte ihr nicht gleich antworten. Es war mir unm"oglich, Deinen Namen zu nennen: schon in dieser einzigen Sekunde war er mir heilig, war er mein
Geheimnis geworden. „Ach, irgendein Herr, der hier im Hause wohnt“, stammelte ich dann ungeschickt [22] heraus. „Aber warum bist du denn so rot geworden, wie er dich angeschaut hat?“ spottete [23] die Freundin mit eines neugierigen Kindes. Bl"ode Gans“, sagte ich wild. Aber sie lachte nur noch lauter, bis ich f"uhlte, dass mir die Tr"anen in die Augen schossen. Ich liess sie stehen und lief hinauf. Von dieser Sekunde an habe ich Dich geliebt.
22
ungeschickt – неловкий, неуклюжий
23
spotten – насмехаться
Ich weiss, Frauen haben Dir oft dieses Wort gesagt. Aber glaube mir, niemand hat Dich so hingebungsvoll [24] geliebt wie dieses Wesen, das ich war. Nur einsame Kinder k"onnen ganz ihre Leidenschaft zusammenhalten [25] . Die andern spielen damit, wie mit einem Spielzeug, sie prahlen [26] damit, wie Knaben mit ihrer ersten Zigarette. Aber ich, ich hatte ja niemand, um mich anzuvertrauen: ich st"urzte hinein in mein Schicksal wie in einen Abgrund [27] . Alles, was in mir wuchs, wusste nur Dich, den Traum von Dir, als Vertrauten.
24
hingebungsvoll – беззаветный
25
Leidenschaft zusammenhalten – затаить в себе страсть
26
prahlen – хвастаться
27
Abgrund, m – пропасть
Mein Vater war l"angst gestorben, die Mutter mir fremd in ihrer ewige Bedr"ucktheit [28] , die Schulm"adchen stiessen mich ab, weil sie so leichtfertig [29] mit dem spielten, was mir letzte Leidenschaft war. Du warst mir – wie soll ich es Dir sagen? Jeder einzelne Vergleich ist zu gering – Du warst eben alles, mein ganzes Leben. Alles in meiner Existenz hatte nur Sinn, wenn es mit Dir verbunden war. Bisher mittelm"assig in der Schule, wurde ich pl"otzlich die Erste, ich las tausend B"ucher bis tief in die Nacht, weil ich wusste, dass Du die B"ucher liebtest, ich begann, zum Erstaunen meiner Mutter, pl"otzlich Klavier zu "uben, weil ich glaubte, Du liebtest Musik. Ich putzte und n"ahte an meinen Kleidern. Aber Du hast mich ja nie, fast nie mehr angesehen. Und doch: ich tat eigentlich den ganzen Tag nichts als auf Dich warten. An unserer T"ur war ein kleines Guckloch, durch dessen kreisrunden Ausschnitt man hin"uber auf Deine T"ur sehen konnte. Dieses Guckloch – nein, l"achle nicht, Geliebter, noch heute, noch heute sch"ame ich mich jener Stunden nicht! – war mein Auge in die Welt hinaus, dort, im eiskalten Vorzimmer. Ich war immer um Dich, immer in Spannung und Bewegung. Ich wusste alles von Dir, kannte jede Deiner Gewohnheiten, jede Deiner Krawatten, jeden Deiner Anz"uge.
28
Bedr"ucktheit, f – подавленность
29
leichtfertig – легкомысленно
Ich weiss, das sind alles kindische Torheiten, die ich Dir da erz"ahle. Aber ich sch"ame mich nicht, denn nie war meine Liebe zu Dir reiner und leidenschaftlicher als in diesen kindlichen Exzessen.
Aber ich will Dich nicht langweilen. Nur das sch"onste Erlebnis meiner Kindheit will ich Dir noch anvertrauen. An einem Sonntag muss es gewesen sein. Du warst verreist, und Dein Diener schleppte die schweren Teppiche, durch die offene Wohnungst"ur. Er trug schwer daran, der Gute, und in einem Anfall von Verwegenheit ging ich zu ihm und fragte, ob ich ihm nicht helfen k"onnte. Er war staunt, aber liess mich gew"ahren, und so sah ich Deine Wohnung von innen.
Diese Minute war die gl"ucklichste meiner Kindheit. Sie wollte ich Dir erz"ahlen, damit Du, der Du mich nicht kennst, endlich zu ahnen beginnst, wie ein Leben an Dir hing und verging. Ich merkte nicht, dass ein "alterer Herr, ein Kaufmann aus Innsbruck "ofter kam und l"anger blieb, ja, es war mir nur angenehm, denn er f"uhrte Mama manchmal in das Theater, und ich konnte allein bleiben, an Dich denken, was ja meine h"ochste, meine einzige Seligkeit [30] war.
30
Seligkeit, f – высшее счастье