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Man kam endlich den Ansteckern auf die Spur, und so wie man Einen ergriff, ward er auf dem Twerskoy Boulevard an einem Laternenpfahle aufgehangen. Auch auf unserm Hinterhofe ward einer festgenommen, bey dem man Z"undstoffe, sowohl in trockenen, und liquiden Inhalt fand, die ihm von dem Obrist Couteill abgenommen und zu Napoleon gebracht wurden. Der Mann aber ward zur Pforte hinausgef"uhrt, und sogleich erschossen. Der freye Raum hinter unserm Hause war der eigentliche Executionsplatz, darum standen immerw"ahrend einige Compagnien F"useliers auf dem sogenannten Apfelmarkt, auf den man durch den hintern Hof des Demidowschen Hauses hinaustrat. Ich bin wenig in andere Strassen gekommen, aber die Schmiedebr"ucke, Petrowka, der Kirchhof und die enge Strasse, die zur Hauptwache, und zum Hause des Generalgouverneurs f"uhrete – welches jetzt vom Marschall Berthier bewohnet war – lagen voll todter Menschen, und crepirter Pferde, "uber deren schon in Verwesung "ubergegangene Ueberreste man hinwegsteigen musste, wenn man seinen Weg fortsetzen wollte. Nur einmal hatte Einer, oder Mehrere den frevelhaften Schertz gemacht, die Todten von der Strasse aufzunehmen, und in jeder Nische, des Eckhauses, (rechts von der Schmiedebr"ucke, nach der Petrowka) einen, oder zwey Leichen, in l"acherlicher Stellung hingesetzt, so dass in jeder Nische sich eine komische Gruppe von Todten befand. Ich ging meinen Versprechen gem"ass, t"aglich nach dem Schillingschen Hause, u. hielt dies f"ur eine heilige Berufspflicht, zu welcher mich meine Zusage, und die Dankbarkeit verband, dass diese Familie meine j"ungste Tochter mit sich genommen hatte. Diese grosse Wohlthat empfand ich nun verzehnfacht stark, da ich jetzt erst alle Gefahren erkannte, welchen meine Tochter durch ihr bleiben in Moskau, ausgesetzet worden w"are. Muthig, und vertrauend auf Gottes allm"achtigen Beystand ging ich darum so wohl nach dem Schillingschen Hause, wie "uberall hin, wo ich es f"ur Berufspflicht hielt. Dagegen that ich keinen Schritt, den ich nicht pflichtm"assig machen musste; und so habe ich – was kaum glaublich scheinet – Napoleon nicht einmal gesehen, obgleich er jeden Tag, um 3 Uhr Nachmittags, dicht an unserm Hinterhause vorbey ritt, und ich nur in die Hofspforte treten durfte, ihn mindestens einmal zu sehen. Die bey uns im Quartier stehenden Obristen, nahmen mir diese Gleichg"ultigkeit sogar "ubel, und gaben mir dieserhalb mehrmal Verweise, die ich aber jedesmal entweder mit Mangel an Zeit zu entschuldigen, oder mit dem Versprechen, es n"achstens zu thun, wieder zufrieden zu stellen suchte. Genug, ich habe Napoleon nicht gesehen. Desto muthiger ging ich aber "uberall hin, wo ich es Pflichtm"assig thun musste. So kam es denn auch, dass ich ohne Begleitung, nicht einmal nach meinen Waaren und Effecten zu sehen wagte, die ich an 5 verschiedenen Orten f"ur Pl"underung und Brand wohl verwahret zu haben glaubte, als ich sie 8 bis 10 Tage vor dem Einr"ucken der Franzosen bey – von einander entfernt wohnenden Freunden – verborgen, und theils vermauert, theils in die Erde vergraben hatte. Erst am sechsten Tage nach Ankunft des Feindes gab mir der Obrist Cuteill eine sauve Garde die mich begleitete, und an vier Orten, fand ich entweder alles verbrannt, wie in der Apotheke des Findelhauses, wo das Feuer wegen der vielen brennbaren Materialien, auch in den untern – f"ur Feuerfest gehaltenen – Keller eingedrungen war, theils aber die K"asten erbrochen, u. ausgepl"undert. Am f"unften Orte, konnte ich an diesem Tage nicht hinkommen; h"orte aber bald darauf von dem Musicus Suck, der mir, beym Hinbringen und Vergraben meiner Sachen geholfen hatte; dass die Keller, im Hause des ehemaligen Schneiders – jetzt Kaufmann Beckers, gleichfalls erbrochen sind, u. offen stehen, in welchen ich einen Theil meiner besten Waaren, und besonders meine Koffer verwahret hatte. Suck versicherte, er sey im Keller gewesen, habe meine erbrochenen Koffer, und mehrere umhergestreuete Sachen gesehen, auf welchen ein todter franz"osischer Soldat gelegen habe. Es dauerte aber mehrere Tage, bis ich wieder ein sicheres Geleit erhalten konnte. Als dieses endlich geschah, begab ich mich in Begleitung eines Gensdarmes dahin u. fand, wie es mich Suck versichert hatte, die Kellerth"ur erbrochen, ging aber nur sehr behutsam die Kellerstufen hinab, weil ich die dort liegen sollende Leiche, schon in Verwesung vermuthen konnte, da sie nach meiner Berechnung schon "uber 8 Tage dort war; ich sp"urete jedoch nicht den mindesten Geruch, ob ich schon dem dort liegenden Soldaten ganz nahe kam. Meine Koffer und Kisten standen wirklich leer da, und viele Pud rohe Seide lag im Keller umher zerstreut – weil diese Waare vermuthlich keinen Werth f"ur die Pl"underer hatte. Auf dieser Seide lag auch der Soldat, und unter seinem Kopfe, erblickte ich mein Tagebuch, welches ich im Jahre 1788 angefangen, und 24 Jahr fortgef"uhrt hatte. Meine Freude "uber diesen wichtigen Fund war gross, und ich b"uckte mich, um es dem Todten unterm Kopfe wegzunehmen, welches mir auch leicht gelang; aber in diesem Augenblick, fing der vermeintliche Todte, in einem "argerlichen Tone zu brummen an, wie jemand den man im Schlafe st"oren will. Ich erschrack, rief den Gensdarmes, und sagte ihm, dass dieser Soldat schon "uber 8 Tage hier liege, und noch am Leben sey, und bat ihn, es geh"origen Ortes zu melden; zweifle aber, ob es geschehen sey; denn ich hatte Gelegenheit, eine "ahnliche Begebenheit zum zweitenmale zu sehen. Ich begleitete sp"ater wo man schon mit mehr Sicherheit – obwohl nie ganz sicher – "uber die Strasse gehen konnte; den Schauspieler Haltenhof in seine Wohnung; und nahe an der rothen Pforte, sagte er: Wir m"ussen Seitw"arts biegen; denn im Durchgang der rothen Pforte, sah ich vor mehreren Tagen, einen todten Husaren in voller Uniform liegen, der jetzt schon ganz in Verwesung "ubergegangen seyn muss. Mehr wie Haltenhof an solche Scenen gew"ohnt, ging ich grade auf die rothe Pforte zu, und immer n"aher, als ich nicht den mindesten Geruch sp"urete, bis ich endlich dem Husaren ganz nahe war, und noch Spuren des Lebens an ihn fand. Man kann sich von der Unordnung des damaligen Armeekorps, welches in Moskau war, und welches aus so vielen verschiedenen V"olkern und Nationen bestand, gar keinen Begriff machen. Die Disciplin war so gut wie aufgel"oset, und Napoleon war zu klug, oder zu schwach, sie mit seiner gewohnten Strenge, wieder herzustellen. Man denke sich die grobe T"auschung einer Armee, die mit der gr"ossten Anstrengung bis Moskau vordrang, der grosse Mangel den sie auf dem Wege dahin leiden musste, da St"adte und D"orfer nicht so dicht an den Strassen liegen, wie in andern L"andern. Nun sollte sie Moskau f"ur alle ausgestandenen Beschwerden vollkommen entsch"adigen; und was fanden sie hier? Eine brennende Stadt, zerst"orte Magazine, und Vorr"athe nicht einmal Brodt hatten sie. An Fourage fehlte es g"anzlich. Weder Fleisch noch Speck war zu sehen. Nicht einmal ein Obdach fanden die Meisten. Der verpestende Gestank, von "ubelriechenden Dingen die in grossen Massen verbrannt waren, von todten Menschen, u. crepirtem Vieh war unausstehlich, und selbst die siebzehnt"agige Pl"underung die Napoleon erlaubte, gab nur den Allerwenigsten einen kleinen Ersatz. Gold und Silberm"unzen fanden sie wenig. Assignationen, besonders wenn sie alt und unscheinbar waren, wussten sie nicht zu sch"atzen – und erst sp"ater ward ein Handel mit russischen Banknoten getrieben, die nicht nach dem Werthe, sondern Paquetweise gegen Gold und Silberm"unzen verkauft wurden, wobey manche Einwohner, die sich mit diesem Handel abgaben, grosse Summen gewannen. Die reich meublirten und gut eingerichteten H"auser welche nicht abgebrannt waren, bewohnten die unz"ahligen Gener"ale u. Staabsoffiziere; daher fanden die pl"undernden Soldaten, ob sie gleich mit Aexten, Brechstangen, und mit Zimmerleute an der Spitze immer in Masse gingen, wenig was sie fortbringen, und sie bereichern konnte. Bey Tage hatte ich in meiner Wohnung wenig Beunruhigung zu bef"urchten. Die Aufschrift an der Pforte, die vielen Bedienten, und Soldaten welche immer auf dem Hofe waren, verscheuchten die Pl"underer. Aber es ging fast keine Nacht vor"uber in der nicht ein ganzer Schwarm Pl"underer durch die Fenster meiner Zimmer drang, welche im Erdgeschoss des Hauses lagen, und ohne den unerm"udlichen Beystand des guten Obristen Couteill, dessen Schlafzimmer sich gerade "uber den Meinigen befand; w"are ich mindestens grossen Misshandlungen nicht entgangen. Sobald ein solcher Schwarm nahete, schlug ich mit einem dazu bereitgehaltenen Staabe, an die Decke meines Zimmers, und sogleich eilte der Obriste, Degen, und Pistole in der Hand, zur H"ulfe herbey, und wenn er nicht in Uniform erschien, hatte auch er manchmal einen harten Stand, weil sich die Pl"underer auf die Erlaubniss Napoleons beriefen. Ich sah in den meiner Wohnung gegen"uber liegenden H"ausern, w"ahrend des Tages, oft f"ormliche Scharm"utzel, zwischen pl"undernden Soldaten, u. Offizieren zu, die nicht in den Magazinen selbst, sondern im hintern Geb"aude der H"auser wohneten, deren vordere Fl"ugel von Modeh"andlerinnen in Miethe genommen waren und mehrere Soldaten verloren ihr Leben dabey, weil bey solchen Gelegenheiten, sogleich viele Offiziere herbey eileten, die auf der Schmiedebr"ucke in Quartier standen, um den sch"onen Modeh"andlerinnen beyzustehen, die Soldaten aber bestanden darauf nur die H"auser verschonen zu d"urfen, die von Offizieren wirklich bewohnet w"aren. Dieses dienet zum Beweis, wie schwach die Subordination zu dieser Zeit war, und wie wenig Werth ein Menschenleben hatte. Die Offiziere verstanden jedoch ihren Vortheil besser wahrzunehmen. Wenn sie in einem wohl und reich eingerichteten Hause wohnten, und die geheimen Vorraths, oder Verbergungsorte entdeckten, eigneten sie sich das Theurste und Beste davon zu, und luden auch ihre Bekannte und Freunde ein, zu nehmen, was sie selbst nicht mehr brauchten, oder nicht fortbringen k"onnen vermeyneten. Auf diese Weise, brachten auch unsre vier Obristen fast t"aglich, die Sch"onsten, und theuersten Sachen nach Hause, die sie aus der Wohnung ihrer Freunde, mit deren Bewilligung, nahmen. Dagegen gaben sie nicht zu, dass ihre Bedienten im Demidowschen Hause, die verschlossenen Ambaren, und Kladawoyen "offnen durften, und eben sowenig im Hause, nach verborgenen Dinge suchen durften. Ich zeigte der russischen Beh"orde, gleich nach ihrer Ankunft in Moskau, sogleich an, dass sich – nach der Sch"atzung der franz"osischen Offiziere – mehr als f"ur 16000 Franken, kostbare Sachen in ihrer innegehabten Wohnung bef"anden; welche sie mir bey ihrem Abzuge zwar geschenket hatten, die ich mir aber weder mit Recht zueignen k"onnte, weil es fremdes Eigenthum war, und auch als gestohlnes Gut, nicht zueignen wollte. Der Major unseres Stadttheils Grandjean, nahm diese Dinge von mir in Empfang, und die fremden Meublen wurden nach der Wohnung des Herrn Grafen Rostoptschin auf der Lubianka gebracht, da man nat"urlich nicht wissen konnte, aus welchen H"ausern sie weggenommen waren. Demidow hatte durchaus keinen Schaden gelitten, vielmehr ist noch manches im Hause geblieben, was die Polizey, in den damaligen Umst"anden, nicht der M"uhe werth hielt, fortnehmen zu lassen. Es hatte sich auch oft ereignet, dass unsere Einwohner, bey ihrer Nachhausekunft von Besuchen bey ihren Freunden, mir Geschenke mitbrachten – welche ihnen freylich nichts gekostet hatten. Ich betheure vor Gott, dass ich trotz allen Zureden, mich nie bewegen liess, etwas anzunehmen, ob es gleich Sachen von Werth waren. Meine Entschuldigung war stets – da ich den wahren Grund meiner Weigerung – dass es gestohlenes Gut sey – nicht gut angeben konnte: Wenn einst der fr"uhere Eigenth"umer diese Sachen in meiner Wohnung f"ande, k"onnte er leicht denken, oder sagen: Wo dieses eine St"uck meines geraubten Eigenthums sich befindet, muss, oder kann auch alles Andre seyn was mir verloren ging. Durch solche Weigerungen verlor ich nicht das Mindeste in den Augen dieser braven Offiziere, stieg vielmehr sichtbar in Achtung bey ihnen. Einst widersetzte ich mich, nicht ohne Gefahr einem verabschiedeten Kapitain – von Geburt ein Pole – mit aller Anstrengung, da er mehrere Dwornicks von Demidow mitnahm und gemeinschaftlich mit ihnen in der Stadt pl"underte, und endlich die geraubten Sachen in unser Haus bringen wollte. Ich hatte diesen Mann, und ein Weibsst"uck das er bey sich hatte, in meine Wohnung aufgenommen, die zur Tischzeit jedem offenstand, der kommen wollte, und in welcher so viele unter Dach kamen, als Platz vorhanden war. Nach einigen Tagen sah ich ihn, und die obengenannten Personen schwere B"undel tragend auf das Haus zukommen. Sogleich eilete ich der hintern kleine Pforte zu, stellte mich im Eingang und fragte die Dwornicks: Was sie tr"ugen? Ich erhielt zur Antwort: Was wir in den Buden holeten. Nun schalt ich sie Diebe, und R"auber, dass sie sich an dem Guthe ihrer russischen Br"uder so s"undlich vergriffen haben, und erkl"arte ihnen, dass ich es nie zugeben w"urde, solche Sachen ins Haus zu bringen, welches ich zwar franz"osischen Soldaten nicht, aber ihnen als Russen, und Demidows Leibeigene, verbieten k"onnte. Nun mischte sich der Capitain drein, wollte mich von der Th"ure verdr"angen und befahl den Leuten, ihre B"undel in den Hof zu tragen. Ich stemmte mich dem Capitain, als dem Voranstehenden entgegen, und "uberh"aufte ihn mit gerechten Vorw"urfen; sagte ihm dass er die Offiziersuniform sch"ande, wenn er sie zum Rauben entweihet; und gewiss w"are es f"ur mich "ubel abgelaufen, wenn nicht Gott in diesem Augenblick den Obristen Couteill herbey gef"uhret h"atte; welcher sogleich n"aher kam, und nach der Ursache unseres Streites fragte. Voll Indignation, stellte ich ihm das sch"andliche Betragen dieses Mannes vor, welches der Obrist auch vollkommen f"uhlte, weshalb er dem Capitain befahl sich Augenblicklich zu entfernen, wenn er nicht auf der Stelle f"usiliert werden wollte. Der Capitain bat voll Angst „man m"ochte ihm nur erlauben, seine im Hause noch befindlichen Dulcin"aa, und seine Sachen mitnehmen zu d"urfen.[“] Der Obrist schickte mich hin, das Weib und die Sachen herbringen zu lassen, und Beydes ward zur Hinterpforte hinaus geworfen. Die Dwornicks erhielten Befehl, die Sachen wieder dahin zu tragen, wo sie solche genommen hatten. Ich habe aber Grund zu vermuthen, dass sie die Sachen irgendwo verbargen, um sie zur gelegenen Zeit wieder ins Haus zu bringen; denn die Polizey fand nachher bei vielen Demidowschen Leuten, mehreres geraubtes Gut, welches ihnen abgenommen ward, und wof"ur sie geb"uhrende Strafe erhielten. Vermuthlich hatte sich der genannte Capitain auf irgend eine Weise den Schutz der franz"osischen Beh"orde zu verschaffen gewusst; denn er trug russische Uniform, die er aber durch solchen Gebrauch entehrte. Die andern drey Obristen – denen der Obrist Couteill diesen Vorfall erz"ahlte – lobten mich, und bewiesen mir von dem Tage an auszeichnende Achtung, welches mir recht kenntlich ward, als ich von den vielen Anstrengungen ersch"opft aufs Krankenlager sank. Sie befahlen ihren Leuten, kein Ger"ausch weder im Hofe, noch beym Hinauf– oder hinuntergehen der Treppen zu machen; und wenn sie auch noch so sp"at in der Nacht, nach Hause kamen, gingen sie niemals hinauf in ihre Wohnung, ohne sich vorher recht theilnehmend nach meinem Befinden erkundiget zu haben. Ja sie brachten mir einmal ein Schulterblatt von einem Reh, aus der kaiserlichen K"uche mit, welches f"ur Napoleon geschossen ward, um mir eine Suppe kochen zu lassen. Ende September, an einem heitern Abend, erblickte ich am Horizonth drey grosse, sehr hohe feurige S"aulen, die ein regelm"assiges Dreyeck bildeten. Sie waren sehr hoch, und sch"on proportioniret. Ich betrachtete und bewunderte diese majest"atische Naturerscheinung, mehr mit Andacht, als Schrecken, und ohne mir etwas besonderes dabey zu denken. Endlich kam auch der Obrist Couteill auf den Hof, und als ich ihn auf diese Erscheinung aufmerksam machte, schrie er voll Schrecken, als ob er die H"olle ge"offnet s"ahe. Er rief seine Cameraden herbey, und auch diese "ausserten sich auf gleiche Weise. Diese vier tapfern Krieger thaten so "angstlich, deuteten diese S"aulen mit so viel Furcht f"ur Unheilbringend, und sprachen so viel, dass auch mir bange ward, und mir endlich sich alle meine Haare aufrichteten. Ich gerieth gleichfalls in Angst, als ob mir das gr"osste Ungl"uck bevorst"unde, ob ich gleich eigentlich nicht wusste, was ich eigentlich zu bef"urchten habe? Schwerlich wurden die Aeusserungen andrer Menschen, bey einer "ahnlichen Gelegenheit, eine solche Wirkung bey mir hervorgebracht haben; aber das Benehmen dieser vier tapfern Krieger, war so auffallend, dass ich unwillk"urlich mit hingerissen ward, und die Erfahrung machen musste; wie ansteckend die Furcht Eines, f"ur viele Menschen, werden kann. Ich sagte vorhin, dass alle Tage gleichsam offene Tafel bey mir war, an welcher jeder Antheil nehmen konnte der kommen wollte; und dieses verhielt sich also. An Vorr"athen von Roggenmehl, Gr"utze, gesch"arftem Kohl, und Salz, hatte ich Ueberfluss; weil diese Dinge von den Franzosen nicht anger"uhret, vielweniger gegessen wurden. Ich liess also Brodt backen, grosse Kessel Gr"utze und gesch"arften Kohl kochen; da aber weder Fleisch, Speck, noch Oehl zu haben war, w"urzte ich diese Speisen mit Pfeffer, und goss sehr guten Estragonessig hinzu – dessen ich wohl an 500 Bouteillen im Keller hatte. Der Hunger that freylich das Beste. Wer aber den Apetit sah, den die Tischgesellschaft gross und klein hatte, musste glauben, wir gen"ossen die leckersten Speisen. Der Geruch von Estragonessig durchdrang das ganze Haus, wenn die Speisen aufgetragen wurden. Dieses reitzte die Forschbegierde unserer Obristen, und nachdem sie den Essig gekostet hatten, nahmen sie eine Bouteille davon mit nach dem Kreml. Napoleon versicherte, er h"atte in Paris keinen bessern Essig genossen; und des andern Tages kam der Pr"afect du Palais Marechall Duroc zu mir, und nachdem er mir viel Complimente, "uber das Gute, was ihm die Adjutanten von Berthier von mir gesagt haben, gemacht hatte, sprach er „der Essig, welchen die Herren gestern brachten, habe Napoleon so gut geschmecket, dass er befohlen habe, meinen ganzen Vorrath f"ur die kaiserliche K"uche zu kaufen. Er fragte daher nach dem Preis, und wie viele Bouteillen ich noch habe?[“] Ich antwortete: Fr"uher h"atte ich die Bouteille zu f"unf Rubel verkauft, welches nach franz"osischen Cours f"unf Franken betr"agt, und meinen Vorrath gab ich nur zu 200 Bouteillen an, weil ich den Rest f"ur unsere Speisen bedurfte, und darum verschwieg. Der Marechal sagte „Gut, die 200 Bouteillen sind f"ur den Kaiser.[“] Ich fasste mir ein Herz, und fragte: Und wann bekomme ich daf"ur die mir zukommenden 1000 Franken? Duroc blickte mich sehr gutm"uthig an, und indem er mich freundlich auf die Schulter klopfte, sagte er: Behalten Sie Ihren Essig. Der Kaiser wird Essig, aber Sie kein Geld kriegen; Ich werde sagen, dass Sie keinen Vorrath mehr haben.
Ein Anderesmal, w"are ich nicht so gut abgekommen, wenn mich nicht eine Frau aus der Verlegenheit gezogen h"atte, die eben kein Tugendspiegel war. Sie wohnte schr"ag gegen mir "uber, war sehr sch"on, und stand nicht im besten Rufe. Eines Vormittags, kam sie zu mir, und bat, ob ich nicht eine Scheere habe, die ich ihr k"auflich "uberlassen k"onnte? Ich suchte nach, fand eine solche, die aber etwas verrostet war, und die ich darum zur"uckliess weil ich sie der M"uhe des Einpackens nicht werth hielt. Sie fragte nach dem Preis, und ich weigerte mich durchaus von ihr Bezahlung anzunehmen, da die Scheere verrostet ist, und kaum der Rede werth sey. Indem wir aber noch miteinander nicht einig werden konnten, sie durchaus bezahlen und ich nichts annehmen wollte, trat ein Hofcommissair herein, und fragte „Ob ich Dinte zu verkaufen habe, und was die Flasche kostet?[“] – Dieses war gleichfalls ein Artikel, den ich nicht einpacken wollte, wie "uberhaupt alle Fl"ussigkeiten, die ich im Keller hatte, weil sie schwer zu packen, und zu transportieren waren; welche mir nachher aber viel Vortheil brachten, ohnerachtet ich sie zu der Zeit verlohren gab, als ich meine bessern Waaren und Sachen an fremde Orte verbarg, die ich nachher nicht wieder sah. – Ich zeigte dem Commissair meine Dinte, das Fl"aschgen zu einem Frank, und er befahl 100 Fl"aschgen einzupacken, die ich auch sogleich in einen grossen Korb legte. Der Commissair trat ans Fenster, und rief zwey eben vor"ubergehende Soldaten und befahl ihnen, den Korb wegzubringen. Als ich aber nach Geld fragte, ward der Commissair bitter b"ose, fand es unversch"amt, dass ich von einem Hofcommissair Geld zu fodern wagte, da die Dinte f"ur die kaiserliche Canzelley bestimmt sey. Ich wollte mich schon um dieses Arguments willen in meinen Verlust ergeben, und dachte, besser 100 Fl"aschgen Dinte, als 200 Bouteillen Estragonessig ohne Geld weggeben zu m"ussen. Da trat meine anwesende Nachbarin mit heroischem Anstand dem Comissair entgegen, und sagte gebieterisch: Bezahlen Sie die Dinte, oder unterstehen Sie sich nicht den Korb anr"uhren zu lassen. Der h"ofliche Franzose fragte, Madame wer sind Sie? Sie antwortete, als ob es die gr"osste Ehre br"achte: Ich bin die Maitresse jenes Generals, der hier gegen"uber wohnt, und eben jetzt zum Fenster hinaus siehet, und den ich sogleich her"uberrufen werde, damit er Sie lehre, dass es dem grossen Kaiser Schande macht, wenn seine Hofcommissaire in seinem Namen pl"undern, denn was er seinen Soldaten erlauben muss, wird der grosse Napoleon gewiss nicht f"ur sich durch seine Hofcommissaire thun lassen. Der Commissair machte einen B"uckling, zog den Beutel, legte 5 halbe 40 Frankenst"ucke auf den Tisch, befahl den Korb zu nehmen, machte ein h"ofliches Compliment, und ging davon. So war meine Scheere wirklich bezahlt, und die Dame sagte mit dem Anstand einer K"onigin ihre fernere Potection zu, u. gebot mir, in "ahnlichen F"allen, nach ihren Beystand zu suchen, den ich aber Gottlob nicht bedurfte. In der dritten Woche nach Napoleons Einzug in Moskau, befahl er, dass 3000 Unteroffiziere von der ganzen Armee, nach Frankreich marschieren sollten, um die Cadres zu der Complettirung des Heeres zu bilden. Diese Gelegenheit benutzten die meisten Gener"ale, Offiziere etc. um ihre Kostbarkeiten, die sie in Russland sich zugeeignet hatten, unter diesen – wie sie meynten – sichern Geleite nach Frankreich abzuschicken. Auch schlossen sich an diesem Zuge, Alle an, die mit der Armee aus dem Auslande bis Moskau, als Bediente, Marquetender, "uberhaupt alle die als freye Leute gekommen waren, nicht l"anger bleiben wollten, und wieder aus Russland gehen konnten. Endlich auch entschlossen sich mehrere Franzosen, Italiener, und andere Ausl"ander, die viele Jahre in Russland ans"assig waren, zur Mitreise, welche bey dieser Gelegenheit, ohne P"asse, "uber die russische Gr"anze zu kommen hoften. So sammelten sich mehrere hundert Wagen aller Art zusammen, und der Zug war un"ubersehbar lang. Aber ihre Hoffnung ward schrecklich get"auscht; denn der ganze Zug fiel den Kosacken in die H"ande, die uns"agliche Reichth"umer aller Art bey diesem Fange erbeuteten; besonders fanden sie viel Silberbarren, von eingeschmolzem Kirchenger"athe, welche die Kirchenr"auber einschmelzen, und zum bequemern Transport in Barren verwandeln liessen; wobey sich viele Moskauer Einwohner bereicherten, indem sie das feine Silber beym Schmelzen mit andern Metallen legiereten, so dass sie zwar, das Gewicht, aber nicht den Werth, der eingeschmolzenen Sachen ablieferten; ohne dass ihr Betrug nur geahnet ward; weil sie mit ihrem Munde sich als die eifrigsten Franzosenfreunde bezeugeten. Von den Mitgereiseten Einwohnern Moskaus kamen nachher mehrere in den allerkl"aglichsten Umst"anden, krank, nackend, und so elend zur"uck, dass die Meisten bald darauf starben. Besonders traf dieses traurige Loos franz"osische Damen, mit denen die Kosaken nicht am gelantesten verfuhren. Bey dieser Gelegenheit gewann ich eine milchende Kuh, die mir mehr Dienste leistete, wie 1000 Rubel Geld mir gebracht haben w"urden.
Diesen Gewinn machte ich auf folgende Weise: Gleich in den ersten Tagen, als noch keine allgemeine Pl"underung erlaubt war, kam ein Kaufmann Namens Larm'e zu mir – welcher gleichfalls Schutz von Offizieren genoss, die in seinem Hause wohneten – und fragte mich: Ob ich nicht mit ihm gemeinschaftlich zwey K"uhe kaufen wollte, die jemand f"ur 80 Rubel abgeben wollte, weil er bange ist, dass sie ihm mit Gewalt abgenommen w"urden. Die K"uhe sollten nach seinem gemachten Plane geschlachtet werden, damit wir zu gleichen H"alften dass Fleisch theils frisch theils gesalzen geniessen k"onnten. Ich gab ihm 40 Rubel u. rieth ihm, nicht beyde K"uhe zugleich, sondern nur Eine vorerst zu schlachten, damit wir auch sp"ater, frisches Fleisch h"atten. Dieses leuchtete ihm ein. Er bat mich aber, die noch lebende Kuh in mein Haus zu nehmen, weil es ihm nicht nur an Futter fehle, sondern auch niemand sey, der nach dem Thiere sehen k"onnte. Ich war es zufrieden. Noch in derselben Nacht, brachte er die Kuh, und den andern Tag einige Pud frisches Fleisch, womit ich sehr sparsam umging, aber dennoch bald fertig ward. Nun kam die Zeit der allgemeinen Pl"underung, und ich wagte, – wie ich oben bemerkt hatte – ohne Beruf nicht auszugehen, und sah, und h"orte nichts von Larm'e; bis er eines Tages kam, und sich entschuldigte, dass er mir nicht so viel frisches Fleisch gebracht hatte, als mir von der H"alfte einer Kuh zuk"ame, weil seine Einquartierten, sich alles was vorhanden war, zugeeignet hatten; welches vermuthlich auch mit der andern Kuh geschehen w"urde, wenn wir sie jetzt schlachteten. Deshalb stellete er mir es frey, ob ich die bey mir sich befindende Kuh, nicht lieber in meinem Hause schlachten lassen wollte, und ihm so viel frisches Fleisch, als ich von ihm erhalten hatte, zur"uckgeben, oder die Kuh am Leben lassen wollte? Mit dieser Kuh hatte sich aber mittlerweile etwas sehr g"unstiges ereignet. Als sie auf den Hof gebracht ward, sagte eine alte Frau „sie wolle versuchen ob die Kuh nicht noch milchend sey, da sie nicht lange gekalbt haben muss.[“] Der Versuch gelang, obgleich sie nicht mehr als ein Bierglas voll Milch gab; die sich jedoch in der Folge, durch gute Wartung und Pflege vermehrete. F"ur mich ward dieses ein grosser Fund, da mir unter allen m"oglichen Speisen und Getr"anken, aus langj"ahriger Gewohnheit, eine Tasse Caffee immer der liebste Genuss war; auf welchen ich aber jetzt verzichten musste, weil ich Caffee ohne Milch nicht trinken mogte. Ich erhielt aber auch Gelegenheit, dem guten Commissair gef"allig zu werden, der uns so viele Liebesdienste erwiesen hatte. Er wohnte – wie ich schon bemerket habe – gegen uns "uber, und da auch er fast nur von Caffee sich n"ahrte, u. ebenso wie ich, nur mit Milch schmackhaft fand, so theilte ich redlich mit ihm, was die Kuh t"aglich an Milch gab. Der Kaufmann Larm'e kam endlich von mir Abschied zu nehmen, da er gleichfalls mit obengenannten Transport "uber die Gr"anze gehen wollte, und verzichtete bey dieser Gelegenheit auf seinen Antheil an der noch lebenden Kuh, in aller Form, welches mir um so lieber war, da ich einen so guten Gebrauch machen konnte von ihrem Leben. Bey diesem Larm'e hatte ich f"unf Kisten von meinen besten Waaren verborgen, welche alle verloren gingen. Dagegen brachte er kurz vor Ankunft der Franzosen mir drey Reiseapotheken, um sie (da schon alles bey ihm vermauert war) irgendwo in meiner Wohnung unterzubringen, weil er sie nur eben von einem Kaufmanne, dem er sie in Commission gegeben hatte, zur"uck erhalten hatte, und nicht nach seinem Hause bringen wollte. Diese Reiseapotheken blieben in meinem Hause unanger"uhret, und ich konnte sie ihm unversehrt zur"uckgeben, als er sp"ater wie alle Uebrigen die mit den Franzosen aus Moskau gingen, nackt, und ausgepl"undert zur"uck kam. Jetzt kamen diese Apotheken dem Larm'e sehr zustatten, er konnte sie sehr theuer verkaufen, da an Medicamenten ein grosser Mangel war.
H"atte ich Alles was ich besass, in meinem Hause behalten, und nicht an andern Orten verwahret, so w"urde ich nicht nur nichts verloren haben, ich h"atte grosse Summen an meinen Waaren gewinnen m"ussen, da Alles ungeheuer theuer war, und nicht nur Offiziere, sondern gemeine Soldaten viel Geld hatten, welches sie nicht brauchen konnten, da es nichts zu kaufen gab. Unter dem Schutz unserer im Quartier stehenden Obristen, h"atte ich frey handeln k"onnen, und sie h"atten mir bey ihrer ausgebreiteten Bekanntschaft, und in der allgemeinen Achtung in welcher sie standen, K"aufer genug zugef"uhret, da sie mich liebten. Es war aber ein grosses Zeichen der g"ottlichen Gnade f"ur mich Unw"urdigen, dass ich alles was ich hatte, verlieren musste; denn, nie h"atte man es glauben k"onnen, dass ich nur der F"ugung g"unstiger Umst"ande die Erhaltung meines Eigenthums zu verdanken hatte; es musste vielmehr den kaum zu beseitigenden Verdacht gegen mich erregen, dass ich nur darum im November vorigen Jahres, Petersburg verlassen, und in Moskau ein neues Etablissement angeleget habe, weil ich – wie es leider so Viele gethan hatten – mit den Feinden des Vaterlandes im geheimen Einverst"andniss stand, und nur diesem Umstande, die Rettung meiner Person und Eigenthumes zugeschrieben werden konnte. Ich kann mit Wahrheit behaupten; dass mir der Verlust meiner Haabe, keine einzige Thr"ane, nicht einmal einen einzigen Seufzer ausgepresst hat. Ich hielt mich vielmehr f"ur "uberreich, wenn ich t"aglich Personen nackt, und nur in einer Bastmatte geh"ullet, ohne Obdach und hungernd, umherirren sah, die fr"uher Besitzer grosser H"auser, und von bedeutendem Verm"ogen gewesen waren. Ich besass zwar damals nicht mehr, als nur das, was ich der M"uhe des Einpackens, und des Verbergens nicht werth hielt; ich glaubte aber, weil ich schon solche Erfahrungen gemacht hatte, dass die Allmacht Gottes nicht verk"urzet sey, und aus Wenigen viel machen kann. Es war schon ein unberechenbar grosser Vortheil, meine Wohnung und die Einrichtung meines Magazins unversehret zu behalten, wodurch ich wieder fr"uher, mit den Waaren, die mir mein Sohn w"ochentlich aus Petersburg zuschickte, sogleich zu handeln anfangen konnte, wie nur der Feind aus Russland vertrieben war, w"ahrend andere Kaufleute – welche aus Moskau gefl"uchtet waren, wenn sie auch ihre Waaren nicht verloren hatten, aus Mangel eines Locales lange kein Magazin er"offnen konnten. Darum achte ich es f"ur eine gnadenreiche – obwohl unverdiente – F"ugung Gottes dass ich, jene falsche Nachricht im Augenblick erhielt, als ich eben Moskau verlassen wollte, sp"ater nicht mehr reisen konnte, und bleiben musste; wodurch mein Glaube, durch die vielen erhaltenen Beweise der Rettung aus Gefahren, gest"arket, mein Vertrauen, auf Gottes allm"achtige H"ulfe befestiget, meine Erfahrungen bereichert, und der Grund zu meinem nachherigen gr"ossern Wohlstande geleget worden ist. Wodurch denn es auch m"oglich ward, nach 8 Jahren in das Predigtamt zu treten, und bis zum heutigen Tage mit Gottes H"ulfe, das Evangelium kostenfrey zu verk"undigen, nehmlich ohne Besoldung, oder Verg"utung, f"ur verrichtete Amtshandlungen annehmen zu m"ussen, um leben zu k"onnen. H"atte ich, wie ich damals schon Reisefertig war, Moskau verlassen, so w"are ich entweder nie mehr dahin zur"uckgekehret, oder h"ochstens nur, um zu erfahren, dass meine zur"uckgelassene Waaren verloren gegangen sind; und h"atte alsdann weder Lust, noch Mittel gehabt, ein zweytes Etablissement zu machen, da das Erste so "ubel ausgefallen war.
Ich kehre von dieser Abschweifung zum Gange der damaligen Begebenheiten zur"uck. Um der Pl"underung zu entgehen, kleidete sich jeder, so einfach und "armlich als er nur konnte, und ich erinnere mich in der ganzen Zeit, nur einen Moskauer Einwohner ganz so wie fr"uher in anst"andigen Civilkleidern, den Wladimir-Orden vierter Klasse, an der Brust tragend, frey umhergehen, gesehen zu haben; Wahrscheinlich muss er eine Sicherheitscharte gehabt haben, die ihn f"ur Pl"underung gesch"utzet hat; welches ich daraus schliesse, dass er nach der R"uckkehr des Grafen Rostoptschin, sehr hart vom Grafen behandelt ward; obgleich er ein Wohlth"ater und rettender Engel f"ur viele hundert Personen gewesen ist, die ohne seiner H"ulfe dachlos, und ohne Brod geblieben w"aren, wenn er ihnen nicht Beydes verschafft h"atte. Er hiess – wenn ich mich nicht irre – Wischnewsky. Er suchte die Umherirrenden selbst auf, nahm Alle an, die zu ihm kamen, gab ihnen Wohnung und Speise in dem Stift, oder Krankenhause, oder Hospital, denn ich weiss nicht wie das lange, einst"ockige Geb"aude heisst, welches jenseits zur rechten Hand der rothen Pforte liegt, wenn man von der M"assnitzkoi her durch dieselbe gehet. – Mehr als dreyhundert Personen fanden dort Schutz und Nahrung. Ein gleiches Asyl war im kaiserlichen Findelhause f"ur viele Menschen. Auch mir leistete Herr von Wischnewsky einst einen nicht geringen Dienst. Eines Morgens, etwa nach 8 Uhr, ward ein junger kranker Mensch, nur mit einem weissen sehr feinem Hemde bekleidet, auf einem kurzen Schubkarren, den ein alter Di"atschock f"uhrete, unter Begleitung von 3 bewaffneten Soldaten vor unserm Hause vorbeygef"uhret. Mich dauerte sowohl der kranke junge feine Mann, als der Greis, der ihn fortschieben musste, und h"ochst erm"udet schien. Etwa um 11 Uhr kam ich aus dem Schillingschen Hause, wohin ich alle Tage ging, und als ich aus der Queergasse in die Lubi"anka treten wollte, kamen die Soldaten mit dem Kranken, und dem vor Schweiss triefende Greise, wie ich sie am Morgen gesehen hatte, von der Stadtseite einher. Die Soldaten schrien mich sehr hart an, und bevor ich noch recht verstehen konnte, was sie eigentlich wollten, h"orete ich dicht hinter mir in deutscher Sprache: Sie suchen ein Hospital, zeigen Sie ihnen das n"achste Haus, sonst m"ussen Sie den Karren mit dem Kranken fortschieben: Es war der obengenannte Herr von Wischnewsky, den ich nie gesprochen hatte, und auch nicht kannte, der aber eben dicht hinter mir, die Worte der Soldaten h"orete, und mir diesen Rath gab. Sogleich wies ich auf das ganz in der N"ahe stehende gr"aflich Rostoptschinsche Haus hin, und sagte: Hier ist ja ein Hospital, so gut Sie es nur finden k"onnen. Die Soldaten dankten, und ermunterten den F"uhrer, durch Geb"arden u. Worte – die er nicht verstand – noch die wenige Schritte zu thun, um seine B"urde los zu werden. Nicht nur meine eigne Selbsterhaltung, sondern die Erhaltung so vieler Menschen, die bey mir im Hause wohneten, gab mir diese Nothl"uge ein. Denn h"atte ich den Karren auch aufnehmen wollen so h"atte ich meine Wohnung und meine Einwohner wahrscheinlich nie mehr wieder gesehen. Unruhe, mancherley Angst, schlechte ungewohnte Nahrung, Mangel an Zeit zum Schlafen, und eine immerw"ahrende Th"atigkeit, hatten meinen K"orper so geschw"achet, dass ich den Schubkarren mit dem Kranken keine 50 Schritt h"atte vorw"arts bringen k"onnen, wozu gewiss auch nicht einmal die Kolbenst"osse der begleitenden Soldaten, mich gest"arket, wohl aber noch mehr unf"ahig gemacht haben w"urden. Sobald sich der Zug mit den Kranken wieder in Bewegung setzte, lief ich was ich vermochte, meine Wohnung auf der ganz nahe liegenden Schmiedebr"ucke zu erreichen, welches mir auch gelang. Ich w"urde meinem Retter auch nie den Namen nach kennen gelernt haben, wenn Herr von Wischnewsky, bei seiner Nachhausekunft, diesen Vorfall nicht dem Schauspieler Haltenhof erz"ahlet h"atte, der mir sp"ater sowohl dieses, wie auch den Namen des Hr. v. W, und das viele Gute, was er t"aglich f"ur alle that, die in dem dortigen Hause wohneten, mittheilete. Noch sp"at am Abend kam der Kranke, den ich schon zweymal an diesem Tage gesehen hatte, in derselben Begleitung vor meinem Fenstern, der Schmiedebr"ucke entlang vor"uber.
Auch das Schillingsche Waarenlager ward endlich doch gepl"undert, so lange es auch verschonet blieb. Der Anblick war recht schmerzlich. Auf dem Hofe lag der rohe Caffee Fuss hoch auf der Erden ausgesch"uttet. Die Kisten, in denen feine Tischweine gepackt waren, an der schmalen Seite ge"offnet, str"omte die k"ostliche Fl"ussigkeit auf den Hof; weil bey jeder Bouteille, die auf diese unbequeme Weise herausgerissen ward, immer mehrere Bouteillen zerbrochen werden mussten. Die Pl"underer hielten sich meistens in dem untern Geschosse auf, so lange noch Wein vorr"athig war. Die obern Stockwerke blieben unbewohnet, nur der Commiss Settelmayer, war allein von Schillings nachgeblieben; welcher eine gute Art hatte die Pl"underer zu behandeln, und so lange der gute Wein nicht zu Ende ging, auch pers"onlich nicht misshandelt ward. Ich fand ihn eines Tages aber dennoch fast ohnm"achtig von erlittenen Schl"agen, auf einem Kanapee liegend. Er klage mir seine Noth, verlor aber noch immer nicht den Muth, l"anger im Hause zu bleiben. Grade an diesem Tage – aber auch nur dieses eine mal – hatte ich im Schillingschen Hause zwei Abentheuer nach einander zu bestehen. Als ich an diesem Tage von Settelmayer weggehen wollte, taumelte ein halbbetrunkener Soldat auf mich zu, und wollte mein Hemd, welches ich am Leibe trug, von mir haben. Gl"ucklicherweise geschah dies in einem Zimmer, wo ein halb ge"offneter W"ascheschrank stand, in welchem einige weisse Bettt"ucher lagen. Ich "offnete den Schrank, schlug zwey Bettt"ucher noch einmal zusammen, in der Quadratform, wie gewaschene Hemde gelegt zu werden pflegen; und sagte zu dem ungest"urmen Foderer „Hier haben Sie ein halbes Dutzend, welche rein gewaschen, und besser sind, wie das schmutzige Hemd welches ich auf dem Leibe habe.[“] Es w"are mir sehr "ubel gegangen, wenn der Soldat den ihm dargebrachten B"undel, auseinander geschlagen h"atte. Er that es aber Gottlob nicht, sondern eilte freundlich dankend davon. Kaum war ich diesen Soldaten los, als ein Anderer, – in demselben Zustande wie der fr"uhere auf mich zukam, mich an der Brust packte, und mich fragte: Wo sein zweyter Handschuh sey, den er hier verloren habe? Dabey zeigte er mir den andern, den er noch in der Hand hatte. Ich bat ihn mir den Handschuh einen Augenblick zu erlauben, damit ich den verlorenen suchen k"onnte. Nicht ohne M"uhe gab er mir den, und als ich sah, dass dieser Handschuh, ohngef"ahr, von der Farbe der meinigen war, die ich in der Tasche hatte, gab ich ihm nach einigen Augenblicken, meine beyden Handschuh, und ohne zu merken, dass die meinigen etwas mehr gr"unlich waren, nahm er sie, dankte, und eilte davon. Dieses war das erste, und auch das letzte mal, dass ich unmittelbar am Leibe angepacket worden war, obgleich ich oft, durch ganze Haufen pl"undernder Soldaten, mitten hindurch ging, wenn ich pl"otzlich in eine Queerstrasse auf sie stiess, und nicht mehr zur"uck, oder entfliehen konnte, ohne von ihnen eingeholet zu werden.
Nach siebzehn Tagen, ward endlich alle "offentliche Pl"underung bey harter Strafe verboten; obwohl des Nachts, an abgelegenen Orten, und wo es nur heimlich geschehen konnte, die Pl"underung so lange fortdauerte, wie es noch Franzosen in der Stadt gab. Es ward eine Munizipalit"at eingerichtet wozu Ausl"ander gew"ahlet wurden, welche franz"osisch sprechen konnten. Eine dreyfarbige Sch"arpe um den Arm, machte die Beamten kenntlich, und jedes Quartal hatte seine eigene Aufseher, welche angewiesen waren, jedem beyzustehen der ihre H"ulfe bedarf.
Ich danke Gott, dass keine Wahl auf mich fiel; denn absagen durfte niemand. Der Director dieser polizeylichen Anstalt war ein Professor der Moskauer Universit"at, namens Willers. Ich weiss nicht, ob er ein geborener Franzose oder Sachse war, aber das ist mir bekannt, dass er mit einer Dresdnerin verheyrathet war, welche nachher, bey Gelegenheit einer Anwesenheit des Hochseligen Kaisers Alexander in Dressden, die Befreyung ihres Mannes, und seine R"uckkehr nach Deutschland, von dem Monarchen erflehet, und auch erwirket hatte. Ich habe Herrn Professor Willers nie gesehen und kann nicht wissen, ob er das Amt eines Polizeymeisters gern, oder nothgedrungen annahm; weil er doch einmal durch einen besondern Zufall, gleich im ersten Augenblick mit Napoleon bekannt ward, wie dieser in Moskau einzog. Napoleon war bis zur Moskauer Sastawa gelangt, wo er Halt machte, in der Meynung „Es werde ihm eine Deputation aus der Stadt entgegen kommen, die Schl"ussel der Stadt "uberreichen, und um Schonung bitten etc [“] – wie es in andern Residenzen, und St"adten zu seyn pflegte. Als aber von alle dem nichts geschah, und er vergeblich eine kleine Weile gewartet hatte; sandte er einen seiner Adjutanten in die Stadt, um sich nach der Ursache dieses sonderbaren Benehmens zu erkundigen, wobey er sich "ausserte; ob denn die Einwohner nicht w"ussten, dass von ihm, dem Sieger, das Schicksal der Stadt abhienge? Der Adjutant, ritt eine ziemliche Strecke in die Stadt hinein, fand die Strassen Menschenleer, und nur sehr wenige ganz gemeine u. arme Leute, die seine Fragen nicht beantworten konnten, weil er sie in franz"osischer Sprache that. Endlich erblickte der Adjutant, in der N"ahe des Universit"atsgeb"audes, den Professor Willers, den er anrief, und befragte. Von welchem er auch verstanden ward, und seine Fragen beantwortet erhielt. Willers sagte ihm, dass sowohl die Beh"orden, wie alle nur einigermassen wohlhabende Leute Moskau verlassen hatten, und nur die Hefe des Volkes, und sehr wenige Ausl"ander in der Stadt zur"uckgeblieben sind. Der Adjutant nahm Willers mit sich, damit er dasselbe Napoleon selbst sagen sollte. Auf dieser Weise ward er mit Napoleon bekannt, und die Wahl zum Polizeymeister war also schon in diesem Umstande begr"undet, auch wenn Willers nachher nie in den Kreml gegangen w"are.