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Таким образом, жизненный путь Иоганна-Амвросия Розенштрауха и его потомков дает некоторое представление о человеческом измерении русской истории последних двух столетий. Первая мировая война и революция положили конец истории этого преуспевшего в России иммигрантского рода. Чтобы понять, как она – эта история – начиналась, во время другой войны, столетием с небольшим ранее, обратимся к воспоминаниям Розенштрауха о событиях 1812 года.
Geschichtliche Ereignisse in Moskau im Jahre 1812. Zur Zeit der Anwesenheit des Feindes in dieser Stadt
Ein und derselbe Gegenstand, aus verschiedenen Gesichtspuncten betrachtet, wird, je treuer die jedesmalige Zeichnung ist, auch eine andre Ansicht darstellen; darum w"urde es eben so viele Beschreibungen von der Anwesenheit des franz"osischen Heeres in Moskau – 1812 – geben k"onnen, als sich Personen damals in der Stadt befanden; und jede h"atte irgend etwas Besonderes, weil der Beobachter sie aus seinem Standpuncte auffasste, und darstellte. Ich weiss nicht, ob die Ereignisse dieser merkw"urdigen und sehr einflussreichen Zeit, von irgend jemanden ver"offentlichet worden sind? Mir ist kein solches Buch zu Gesichte gekommen, und darum theile ich nur das mit, was ich selbst sah, h"orte, und zu bemerken Gelegenheit hatte. Zur Zeit, als die Begebenheiten vorfielen, dachte ich freilich nicht daran Notizen zu sammeln, um sie Andern mittheilen zu wollen. Deshalb kann ich nun nach 23 Jahren weder genau f"ur chronologische Ordnung, noch f"ur Zahlen, und f"ur alle solche Dinge einstehen, was etwa dem Politiker, Staatsmann, Krieger, und Gerichtspersonen in dieser Zeit merkw"urdig, und der Aufzeichnung werth gewesen w"aren. Ich war damals nur eine Privatperson, und beurtheilte alles was geschah, vorerst in der n"achsten Beziehung auf mich selbst, und dann erst f"ur das Vaterland und meinen Mitmenschen. Da ich aber seitdem gelernt habe, alle zeitliche Ereignisse in genauesten Zusammenhange mit der Ewigkeit zu stellen, blicke ich auch R"uckw"arts, auf alles damals Geschehene, in dieser einzig richtigen Beziehung um folgenden Mittheilungen, auch f"ur Christen ein Intresse zu geben.
Ich kann, ohne Schw"armerey, mit Gewissheit behaupten, dass es des Herrn Wille war, dass ich Moskau nicht verlassen sollte, und Gott es so f"ugte, dass ich meine schon beschlossene Abreise aufgeben musste, ohnerachtet ich bereits alle Anstalten getroffen, und sogar die Pferde schon angespannt waren, um nach Petersburg zu meinen Kindern zu fahren. Aber ein falsches Ger"ucht – als ob der Feind schon zwischen Moskau und Klin st"ande – bewog mich, dem Fuhrmann das Handgeld zu seiner Entsch"adigung zu "uberlassen, und obgleich ich noch an demselben Tage von dem Ungrunde des Ger"uchtes "uberzeuget ward, konnte ich doch nachher, um keinen Preis mehr Pferde erhalten, und musste in Moskau bleiben, weil – wie ich nun klar einsehe – davon mein und meiner Kinder zeitliches Wohl, und wie ich von der Barmherzigkeit Jesu hoffe, auch unser ewiges Loos dadurch bef"ordert ward. Kein Christ wird zweifeln, dass der Allmacht Gottes alles m"oglich ist; aber wie Jesus in den Tagen Seines Fleisches keine Wunder verrichtete, als wenn die nat"urlichen Mittel unzul"anglich waren, und auch in der Geschichte des alten Bundes, Gott nur dann Beweise Seiner unmittelbaren Einwirkung gab, wenn es auf bekannten Wegen unm"oglich war, so handelt die g"ottliche Weisheit auch noch jetzt, in den Schicksalen ganzer V"olker, und einzelner Menschen, und benutzet, oder f"uget, die vorhandenen H"ulfsmittel, um diejenigen Wirkungen hervorzubringen, die Ihm, dem Herrn wohlgef"allig sind. So weit menschliche Einsichten reichen, kann ich mit Sicherheit behaupten, dass ich in Petersburg; ohne ein auffallendes Wunder, weder zu dem Grade des Wohlstandes, durch unser, an diesem Orte beschr"anktes Handelsgesch"afts, – noch zu einer v"ollig ver"anderten Geistesansicht – welche durch die Leiden, und Gefahren in Moskau in mir hervorgebracht wurde – noch zu einer solchen Vorarbeit, in kirchlichen, und Schulangelegenheiten – durch th"atigen Antheil an den Gesch"aften des Kirchenraths – gelangen konnte; welches alles vorangehen musste, bevor ich den Entschluss Prediger zu werden, nur mit einiger Wahrscheinlichkeit des Gelingens fassen, vielweniger ausf"uhren konnte. Ich hatte auch schon vor 25 Jahren, aus dem ungew"ohnlichen Leidensgange meines Lebens, so viel gelernt, dass ich alle mich betreffende Lebensereignisse nicht f"ur zuf"allig, sondern, f"ur weise F"ugungen der Barmherzigkeit Gottes hielt. Sobald ich also Moskau nicht verlassen konnte, ergab ich mich dem Willen des Herrn, und war so ruhig, als es nur immer in gefahrvollen Lagen, dem einem Gott vertrauenden Menschen m"oglich ist, der gleichwohl, wie alle seine Br"uder, ein Herz im Busen tr"agt, welches zu Zeiten eben so trotzig, als verzagt ist. Ich komme nun zur Sache. Bis zum Ende des Augustmonates, ward das volkreiche Moskau beynahe Menschenleer, und die Gefahr, f"ur die wenige Ausl"ander welche freywillig, oder nothgedrungen zur"uckblieben, mit jedem Augenblick gr"osser, wie die auf den Strassen, und in den H"ausern durch das verbitterte Volk ver"ubten Excesse bewiesen. Vorz"uglich war die Schmiedebr"ucke – eine Strasse wo die meisten franz"osischen Magazine sich befanden, und welche fast nur von Ausl"andern bewohnet war – dem Volke, ein Dorn im Auge, und in andern Stadttheilen gingen Gespr"ache im Umlauf „als ob in der verflossenen Nacht, alle Ausl"ander, die auf der Schmiedebr"ucke wohneten, umgebracht worden w"aren“ welches ich dadurch erfuhr, dass mehrere Herrschaften, die mich kannten, zu mir geschicket haben und mich fragen liessen „ob ich noch am Leben sey“? Der damalige Generalgouverneur Herr Graf von Rostoptschin, erliess zwar Proclamationen an das Volk, worin ihm vorgestellet ward, wie wenig es ihm zur Ehre gereiche, wenn sie gleich einem ausgetrockneten Hering magere Franzosen, oder Deutschen mit der Per"ucke todtschl"ugen; aber diese scherzhaften B"uletins waren wenig geeignet das Volk zu schrecken. Darum verliess ich auch am 30sten August gegen Mitternacht, meine Wohnung an der Schmiedebr"ucke, da es in dieser Nacht, wie bisher noch nie auf dieser Strasse, so ger"auschvoll und unruhig war, wie ich es seit meiner Ankunft in Moskau noch nie bey Tage geh"oret hatte, obwohl die Schmiedebr"ucke eine der frequentesten Strassen in Moskau ist. Mit meiner 16 j"ahrigen Tochter an der Hand floh ich zu dem Kaufmann Schilling; welcher entschlossen war wegen seiner zahlreichen Familie, und der vielen Waaren die er in Commission hatte, und nicht bergen konnte, gleichfalls in Moskau zu bleiben. Auf dem Hinwege wurden wir vom P"obel verfolgt, und es war ein Gl"uck, dass der Dwornick im Schillingschen Hause uns gleich beym ersten Anklopfen die eiserne Hofth"ure "offnete, und eben so schnell hinter uns schloss, als er unsere Verfolger sah, vor denen wir einen kleinen Vorsprung hatten, weil sie erst aus dem Zimmer, wo sie uns vorbeigehen sahen, und uns zuriefen: Ihr verfluchten Ausl"ander, wir wollen euch todtschlagen: erst "uber den Hof ihres Wohnhauses gehen mussten, dessen Ausgang erst in eine Nebenstrasse f"uhrete. Dieser kleine Vorsprung den wir durch schnelles Laufen benutzten, und dass der Dwornick noch um Mitternacht sich grade der Pforte so nahe fand, um uns gleich einlassen zu k"onnen, rettete uns das Leben. Die Schillingsche Familie nahm uns sehr freundlich auf, und luden uns ein, bey ihnen zu bleiben, und alle kommenden Ereignisse gemeinschaftlich mit einander zu tragen. Die Laden an den Fenstern und der Eingang des Hauses, waren so feste und wohl verwahret, der Anwesenden, meist junge und kr"aftige M"anner so viele, dass ein m"assiger Sturm leicht abgeschlagen werden konnte. Am Sonnabend – den 31sten August – liefen so viele Nachrichten von der Lebensgefahr der noch in Moskau sich befindenden Ausl"ander, von allen Seiten ein, dass es die Schillingsche Familie f"ur Pflicht hielt, um jeden Preis lieber die Stadt zu verlassen, als umgebracht zu werden. Die "altern S"ohne waren auch so gl"ucklich, f"ur ungew"ohnlich hohes Fuhrgeld Pferde zu bekommen. Nun baten mich alle, (so sehr beenget auch ihre Wagen waren) sie zu begleiten. Ich sah aber die Unm"oglichkeit ein, wenn ich nicht zu Fusse nebenhergehen wollte; und bat sie, nur meine Tochter mit sich zu nehmen, und am Abend um eilf Uhr fuhren sie ab. Bey unserm beyderseitigen Abschied, konnten wir nur hoffen, uns erst in der Ewigkeit wieder zu sehen; da sie auf der Reise nicht mindern Gefahren entgegen gingen, als ich in der Stadt zu erwarten hatte. Ein kr"aftiges, gl"aubiges, und gemeinschaftliches Gebet, welches ich mit meiner Tochter, etwa zwey Stunden vor der Abreise hielt, hatte sie, und mich so gest"arkt, dass wir im entscheidenden Augenblick, uns ein ebenso schmerzloses Lebewohl sagten, als wenn wir uns in wenigen Stunden wiedersehen w"urden.
Die abreisende Familie nahm nur die allern"othigsten Bed"urfnisse mit, weil kaum Platz f"ur die Personen im Wagen war; alles andre blieb zur"uck. Deshalb bat mich Herr Schilling, in seinem Hause wohnen zu bleiben, und die Aufsicht, sowohl "uber seine Effecten, als zur"uckgelassenen Commissions-Waaren zu "ubernehmen.
Ich muss noch einen, und zwar den Hauptgrund anf"uhren, wesshalb ich in der Nacht vom Freitag auf den Sonnabend, meine Wohnung an der Schmiedebr"ucke verliess. Der Graf Rostoptschin hatte mehrere gedruckte Auffoderungen an das Volk ergehen lassen, sich zu bewaffnen, und beym ersten Ruf, sich auf den Sperlingsbergen zu versammeln, und jedem Ausbleibenden ward die h"arteste Strafe angedrohet. Mein Kutscher, ein junger verwegener Kerl, mit einer Satansphysiognomie, brachte daher alle Tage eine Menge ihm gleichgesinnter Kerle, auf unsern ger"aumigen Hofe zusammen, mit denen er exercirte, l"armte, und sie harangirte. Er sagte ihnen oft, dass nun endlich das Blatt sich gewendet hat, die Leibeigenen, Herren, und die bisherigen Herrschaften entweder todtgeschlagen oder Bauern werden m"ussen. Schweigend musste ich dieses Unwesen dulden, und mein nothgedrunges Schweigen, machte den Kutscher mit jedem Augenblick frecher, so dass er endlich meine Tochter in die Backen kniff sie k"ussen wollte, "uber ihr Spr"odethun spottete und sich zu sagen erfrechte: Sie werde bald anders denken, und ihm danken, wenn er ihr Besch"utzer seyn w"urde. Als ich in der Nacht vom Freitag erfuhr, dass der Kutscher und sein Anhang nicht zu Hause sind, benutzte ich die Zeit zur Flucht in das Schillingsche Haus. Kaum war aber meine Tochter mit dieser Familie abgereist, so fiel es mir ein, wie grimmig und erbittert der Kutscher seyn wird, wenn er weder meine Tochter, noch mich bey seiner R"uckkunft im Hause finden w"urde. Jetzt stieg in mir die Besorgniss auf, dass dieser verwegene Kerl, unsern Aufenthalt entdecken, und welche Gefahr – nicht sowohl f"ur mich – denn ich trug, wie man zu sagen pflegt, die ganze Zeither mein Leben in meiner Hand – sondern dem Schillingschen Hause, an Effecten und Waaren durch die Bosheit dieses Menschen gebracht werden k"onnte. Daher dachte ich auf einen Zufluchtsort, damit ich nicht im Schillingschen Hause gefunden w"urde, wenn der Kutscher mich dort suchen sollte, und denken muss: ich sey mit der ganzen Familie abgereiset. Dass unsere Armee eine Schlacht verloren habe, und Napoleon schon auf russischem Gebiet stehe, wusste man in Moskau, und sah es an den vielen Verwundeten, welche durch die Stadt zogen, aber ich zweifle, ob jemand, ausser dem Generalgouverneur, und seinen vertrautesten Freunde, nur an die M"oglichkeit gedacht habe; dass Napoleon bis Moskau vordringen k"onne? Noch am 31sten August erschien ein kurzes B"uletin, worin im Namen des Feldmarschalls Kutusow, bekannt gemacht ward, dass er am gestrigen Tage die Franzosen total geschlagen habe, und wenn er – woran er nicht zweifle – sie den andern Tag wieder so besiegen w"urde, so soll kein Einziger von den eingedrungen Feinden lebendig "uber die russische Gr"anze kommen und heimkehren. – Den Datum der Schlacht, und den Ort, habe ich vergessen. Ich weiss nicht, was die Landeseinwohner von der wahren Lage der Dinge wussten, und dachten, da mein, wie alle Magazine an der Schmiedebr"ucke geschlossen waren, und niemand kam, von dem man etwas gewisses erfahren konnte. Aber die Ausl"ander suchten gegenseitig bey einander Rath und Trost, so oft sie in dieser ganzen Zeit ohne Gefahr zusammen kommen konnten. Bey einer solchen Gelegenheit, sagte mir der Theatermaler Herr Czermack – der den Muth hatte, f"ur die ersten gefangenen Franzosen, welche sehr abgerissen waren, aus reinem Gef"uhl der Menschlichkeit, ohne an der Nation Anh"anglichkeit zu haben, eine Collecte – nicht ohne Gefahr f"ur sich – zu sammeln, und in dieser Absicht auch zu mir gekommen war. Ich wohne bey einem russischen Geistlichen, in der Pereulock Lawrentie Nawrasche, nahe an der Twerskoy, u. dieser hat mir versprochen, mir, und einigen meiner Freunde, einen geheimen, sehr sichern Aufenthaltsort, unter dem Altare seiner Kirche anzuweisen, wo kein Mensch uns finden, und wir f"ur alle m"ogliche Gefahr gesichert seyn sollen. – Herr Czermack, foderte mich daher auf sogleich zu ihm zu kommen, wenn ich in meiner Wohnung nicht mehr bleiben k"onnte, und gab mir die genaueste Beschreibung seines Hauses, um es sogleich finden zu k"onnen. H"atte ich an diesen Zufluchtsort fr"uher gedacht, so w"urde ich ihn dem Schillingschen Hause vorgezogen haben, dann aber w"are meine Tochter mit dieser Familie nicht abgereiset, h"atte nachher in gr"ossere Gefahren gerathen k"onnen, alle Angst und Gr"aul w"ahrend dem Brande und nachheriger Pl"underung mit ansehen m"ussen; endlich aber, was die Hauptsache f"ur sie, und mich war, wir beyde keinen so "uberzeugenden Beweis, von der tr"ostenden Kraft eines gl"aubigen Gebets erhalten, wie der Herr uns zwey Stunden vor ihrer Abfahrt gnadenreich gew"ahret hatte.
Sonntag ganz fr"uh (den 31sten August) fiel mir das Anerbieten des Herrn Czermacks pl"otzlich ins Ged"achtniss, und mit dem Beginn des Tages suchte ich seine Wohnung auf, und ward auf das Herzlichste, von ihm und seiner Frau aufgenommen. Ich fand seinen Hauswirth den Geistlichen, besch"aftiget, seine junge, sch"one Frau aus der Stadt zu schicken. Auch er hiess mich recht freundlich willkommen, und sagte, dass er es f"ur gut halte, lieber seine Frau, zu ihren in der N"ahe Moskaus wohnenden Eltern abzufertigen, als hier zu behalten, und sobald sie abgereiset seyn w"urde, wolle er desto ruhiger mit Herrn Czermack, und mit mir, dessen Freunde, recht br"uderlich leben, alle Gefahr theilen, uns mit seinem Ansehen sch"utzen etc. Kaum war aber die Frau eine viertel Stunde abgefahren, als der Priester sich wie ein Wahnsinniger zu geb"arden anfing. Er warf sich auf die Erde, raufte sich Kopf und Barthaare aus, zerschlug sich das Gesicht, schrie und heulete dar"uber, dass er seine Frau habe allein wegfahren lassen etc. Ich rieth ihm, ihr so schnell als m"oglich nachzueilen, da sie noch nicht bis zur Sastawa gekommen seyn konnte. Kaum hatte er mich begriffen, so eilte er, ohne Hut, so wie er sich von der Erde aufgerafft hatte, spornstreichs, seiner Frau nach, die er auch noch einholete, – wie ich nach einigen Monaten von ihm erfuhr. Der versprochene geheime Verbergungsort in der Kirche, blieb uns daher unbekannt. Der Sonntag verging uns ohne merkw"urdige Ereignisse, da wir im Zimmer blieben, niemand fremdes sahen, und also auch nichts erfahren konnten, was in der Stadt vorging. So viel sahe ich jedoch einige Stunden nach meiner Ankunft bei Hr. Czermack ein, dass diese Strasse noch weniger Sicherheit gew"ahre, wie die Schmiedebr"ucke; weil, erstens der Hr. Czermack der einzige Deutsche war, der in dieser Quergasse wohnete, und weil seine Wohnung von lauter Hurenh"ausern umringt war. Auch Hr. Czerm. sah endlich ein, wie unsicher unsere Wohnung war, und darum foderte er mich auf, mit ihm zu einem in der N"ahe wohnenden Lampenfabrikanten, namens Knauf zu gehen, dessen Haus einer kleinen Festung glich, und dessen zahlreiche Fabrikarbeiter, angeblich ihren Herrn sehr ergeben waren. Wir baten Herrn Knauf uns in sein Haus aufzunehmen, weil wir in unserer Wohnung Vogelfrey w"aren, und er f"ur seine Person, an zwey deutsche gesunde M"anner, theils Beystand, theils Aufseher, "uber seine Arbeiter erhalten w"urde. Er schlug es hartn"ackig ab, und versicherte uns, dass er sich auf seine Leute verlassen k"onne. Nun so wird uns Gott sch"utzen, sagte Hr. Cz. mir aus der Seele gesprochen. Montag Morgens ward es sehr lebhaft auf der Strasse, und wir sahen M"anner, Weiber und Kinder, mit Flinten, S"abel, und Pistolen bis zum Erdr"ucken bepacket, nach ihren Wohnungen eilen, auch zum Theil vor ihren Th"uren hinwerfen, und wieder forteilen, welches wir uns nicht erkl"aren konnten, da es den ganzen Vormittag fortdauerte, und wir doch auch wieder nicht auf die Strasse gehen, u. fragen wollten. Nachher erfuhren wir, dass noch am Sonntage ein B"ulletin erschienen war, welches befahl: Am Montag fr"uh sollten alle m"annliche Einwohner Moskaus nach dem Arsenale eilen, sich dort zu bewaffnen, und dann auf die Sperlingsberge r"ucken sollten. Dieser Aufforderung zu folge, fanden sich viele im Kreml ein, und fanden zwar das Arsenal offen, aber niemanden der ihnen sagte, was sie nehmen, und wo sie sich versammeln sollten? Jetzt griff jeder zu, nahm was ihm gefiel, eilte nach Hause, sagte dieses den Seinigen, und allen die ihm auf dem Heimwege begegneten; nahm Alle, selbst Kinder mit, die nur etwas tragen konnten, und so vermehrten sich die Nehmer und Tr"ager mit jeder Stunde, bis zum Augenblick, wo die Franzosen in die Stadt zogen. Der Herr Graf Rostoptschin wusste nat"urlich vorher, dass das Arsenal dem Feinde in die H"ande fallen wird, und rettete auf diese Weise viele Waffen, welche die Einwohner w"ahrend der Invasion, versteckt, und verborgen hatten, nachher aber wieder abgeben mussten, als die russische Beh"orden in Moskau eingezogen waren. Zum Gl"uck hatte das Volk kein Pulver, sonst w"urde viel Blut geflossen seyn, da alle Kabacken ohne Eigenth"umer und ge"offnet waren, die Polizey bereits dem Grafen aus der Stadt gefolget war, diese grosse Stadt, ohne Obrigkeit blieb, jeder ungescheuet thun konnte, was er wollte, und ein grosser Haufe Volks schon versammelt war, als der junge Weretschagin durch die Strassen geschleifet, und der Volkswuth – als ein Landesverr"ather "ubergeben worden war, welchen der Graf, (im Augenblick seiner Abreise) der Polizey nicht mitzunehmen befahl. Es w"are allerdings zu w"unschen, dass die Franzosen nie bis Moskau vorgedrungen w"aren; aber es war auch gewiss eine gnadenreiche F"ugung Gottes, dass sie noch an diesem Tage kamen, weil in dem Zustand der Anarchie, und noch durch Brandtwein erhitzten K"opfen bey aller Freyheit zu ungest"orter reichlicher Pl"underung, und dem allgemeinen Hasse gegen die Ausl"ander, w"are vielleicht kein einziger Fremder am Leben geblieben; und sie w"urden sich auch an ihren Landsleuten vergriffen und in ihrer Trunkenheit unter einander viel Blut vergossen haben.
Etwa um halb zwey Uhr Nachmittags, sprengten drey russische Cavalerie-Offiziere, von verschiedener Waffengattung, im gestrecktesten Gallop, von der Twerskoystrasse kommend, vor unsern Fenstern vorbey, die aber kaum einige Minuten nacher, eilig zur"uckflohen; und als Hr. Czermack und ich uns vor die Hausth"ur wagten, um ihnen nachzusehen, h"orten wir sehr deutlich den Schall franz"osischer Trommeln, deren Ton ihm aus Wien, und mir vom Rheine her bekannt war, doch zweifelten wir noch, ob dem so sey? als wir links Grenadiere zu Pferde, von eben daher langsam einziehen sahen, wohin die ersten 3 Offiziere eileten, und bald zur"uck kehrten; und fast in demselben Augenblicke h"oreten wir auch von der Seite der Twerskoystrasse einen franz"osischen Marsch von Blasinstrumenten gespielt. So voll unsere Gasse bis dahin, von bewaffneten Einwohnern war, so leer ward sie im Nu. Alles warf die Waffen von sich, oder eilte mit denselben ins Haus, so dass in der ganzen Gasse, nur Hr. Czermack und ich allein dastanden.
Bey dem g"anzlichen Mangel aller Nachrichten vom Kriegsschauplatze, bey den "oftern Siegeskunden "uber die Feinde, konnte wohl schwerlich jemand nur ahnen, Napoleon in Moskau zu sehen; am allerwenigsten aber, dass dieses so bald geschehen w"urde, da man ihn und seine Armee sich noch an der russischen Gr"anze dachte. Wie Hr. Cz. und ich so an unserer Hausth"ure standen, und keiner wagte, dem Andern mitzutheilen, dass er den Einzug der Franzosen, f"ur gewiss hielt; mussten wir beyde, auf ein Ger"ausch in der Luft, aufmerksam werden, welches uns aus unserm Nachdenken aufweckte. Wir blickten in die H"ohe, und sahen eine ungew"ohnlich fast Baum"ahnliche Raquette, zu den Wolken dringend. Unwillk"urlich entfuhren mir die Worte: „Das ist Gross“! Und erst als ich diese Worte gesprochen hatte, ward es mir in der Seele klar, was ich damit sagen wollte. Herr Czermack deutete meinen Ausruf, auf die Gr"osse der Raquette, und sagte: Ja, eine so grosse Raquette habe ich selbst in Wien, bei den sch"onsten Feuerwerken nie gesehen. Ich erwiederte: Nein, das meyne ich nicht, ich finde die Idee gross: dass Moskau verbrannt werden soll. Ich betheure es bey Gott, dass ich diesen Gedanken nie nur entfernt gedacht habe, und wenn ich mir ja die M"oglichkeit vorstellte, dass die Franzosen bis nach Moskau kommen k"onnten – obwohl ich mich auch dessen kaum erinnere, und gewiss meinem vertrautesten Freunde nicht mitgetheilt haben w"urde; so konnte ich mir im schlimmsten Falle dennoch h"ochstens eine grosse Contribution vorstellen, aber weder Brand, noch Pl"underung denken, sondern alles so, wie es bei ihrem Einzuge in andre Residenzen geschehen war. Daher ist es mir noch bis zum heutigen Tage unbegreiflich warum der Anblick dieser Raquette – welche allerdings ein Signal seyn musste, das weithin gesehen werden sollte – in mir den nie gehabten Gedanken hervorbrachte, und mir in diesen Augenblick sogleich alle guten Folgen vorschwebeten, die f"ur Russland aus dem Brande Moskaus entstehen werden. Nach 23 Jahren, in welcher Zeit ich mich vielfach gepr"ufet, mehreremal mein Ged"achtnis, gleichsam auf die Folter gespannt habe, um irgend etwas aufzufinden, wodurch ich meinen damaligen Ausruf, und alles was sich pl"otzlich, aber sehr lebhaft, bey diesem Gedanken mir aufdr"angete, und meiner Seele vorschwebete, in einem Zusammenhange mit dem Anblick der Raquette zu bringen, aber immer vergeblich, und ich muss die L"osung dieses R"athsels, auf die Zeit meines Eingangs in die Ewigkeit, verschieben. Nun f"ullte sich unsere kleine Strasse mit franz"osischen Infanteristen, welche sehr h"oflich naheten, und um etwas Brodt baten, welches sie nach ihrer Aussage seit 3 Tagen, nicht gesehen, noch weniger genossen hatten. Madame Czermack, welche gut franz"osisch sprach, und auch in Wien in H"ausern wohnte, welche Franzosen in ihrer Wohnung aufnehmen mussten, lud die Soldaten, die uns umgaben, ein, n"aher ins Haus zu kommen, und es traten acht Personen ein, so wie die "ubrigen sich in andere H"auser vertheileten. Jetzt zeigten sich die in unserer Gasse wohnenden Huren, und thaten mit diesen fremden G"asten so vertraut, als ob sie mit ihnen von jeher befreundet gewesen w"aren, obgleich sie mit ihnen nicht sprechen konnten. Die ganze Gasse war pl"otzlich so belebt, dass es schien, als ob es immer so gewesen w"are. Alles dieses geschah in minder als einer Stunde. Jetzt erscholl auf einmal der Ruf: Feuer, Feuer, welches man auch alsbald sehen konnte. Es kletterten mehrere auf hohe H"auser, und sagten, dass es in der Fischstrasse brenne. Da diese ziemlich weit von unserer Gasse war, so nahmen wir, Hr. Cz. und ich weiter keinen Theil daran, und bewirtheten unsere Soldaten mit allem was wir hatten; in der Meynung, am andern Tage, wieder neue Vorr"athe kaufen zu k"onnen; denn wir dachten „Wenn auch 100000 Mann in Moskau eingezogen w"aren, doch Alle in Moskau unterkommen, und satt werden k"onnten, da wir allein in unserm H"ausgen deren 8 gespeiset hatten[“]. Wir irreten uns aber; denn kaum hatten uns die 8 Soldaten zufrieden und dankend verlassen, als wieder Andre, und wieder Andre kamen, und dasselbe foderten. So lange es jedoch noch Tag war, ging es ertr"aglich; denn zwey Offiziere, und ein Unteroffizier, waren in dieser Zeit zu uns ins Zimmer gekommen, und jedesmal befragten sie die anwesenden Soldaten: Ob sie sich auch dem Befehle des Kaisers N. gem"ass gut und bescheiden betragen? Uns aber foderten sie auf, dass wir bey der mindesten Unzufriedenheit, sogleich in der ganz in der N"ahe, auf der Twerskoy befindlichen Wachtstube H"ulfe suchen sollten, damit die Unartigen – dieses war der bezeichnende Ausdruck – exemplarisch bestraft werden k"onnten. Unsere letzten Vorr"athe, waren bis 10 Uhr des Abends v"ollig ersch"opft, und in dem Maasse, mehrten sich nun Eindringende, die schon nicht mehr Bittende, sondern gebieterisch fodernde Soldaten waren. Wir gaben ihnen Geld, und suchten ihnen begreiflich zu machen, dass es nicht an unserm guten Willen, sondern an dem Mangel aller Vorr"athe liege, die wir in der Nacht auf keine Weise erg"anzen konnten. Wir stellten ihnen vor, dass wir seit 8 Stunden so Viele gespeiset hatten, und sie leicht einsehen k"onnten, dass in einem so kleinen H"ausgen keine grosse Vorr"athe seyn konnten. Es ging hart her, doch droheten sie nur uns zu misshandeln, ohne einen von uns pers"onlich anzur"uhren. Die letzten 4 Soldaten nahmen Geld, und Sachen die ihnen gefielen; schwuren aber, uns umzubringen, wenn sie nicht zum Fr"uhst"uck Ommlets, und Schinken erhielten. Wir versprachen ihnen dieses auf das Gewisseste, in der Meynung, mit Tagesanbruch das Ben"othigte kaufen zu k"onnen. Gegen Morgen, als es noch d"ammerte, ward Generalmarsch geschlagen, und unsere G"aste, die uns nun verlassen mussten, fluchten und schwuren, das keiner von uns am Leben bleiben sollte, wenn nicht bey ihrer R"uckkunft der Tisch gedeckt, und alles von ihnen Verlangte im Ueberfluss vorhanden seyn w"urde. Wir hatten die ganze Nacht keinen Augenblick ruhen k"onnen, viel Angst, und M"uhe gehabt, besonders ich, der ich in zwey russischen Familien, deren Eine "uber uns, und die Zweyte im anstossenden Hause wohnte, der Misshandlung und der Pl"underung mit Gottes Beystand steuern konnte, und einen russischen Protopop, der sich in unser Zimmer gefl"uchtet hatte, und den die bey uns seyenden Soldaten auf alle Weise zu kr"anken suchten, zu sch"utzen vermochte; wozu ich n"achst dem Vertrauen auf Gottes Beystand, durch die Mahnungen jener Offiziere, welche uns sagten, dass wir in der Hauptwache H"ulfe gegen Misshandlungen finden w"urden; war so muthig geworden, nichts zu f"urchten, weil ich meynte, ich d"urfte nur nach der Twerskoy eilen, um sogleich H"ulfe zu finden. Ich brachte den alten Protopop endlich zur Ruhe, sobald die Soldaten uns verlassen hatten, und schlug Hr. und Mad. Czermack vor, Th"uren u. Fenster zu "offnen, um die Zimmer von der "ublen Luft zu reinigen, die sich in dieser Nacht durch die vielen, vom Marsch kommenden Soldaten gesammelt hatte; Wir traten vor die Hausth"ure und hatten noch nicht lange da gestanden, als eine starke Kavallerie Kolonne mit einem Staabsoffizier an der Spitze vor"uberzog. Madame Czermack redete den Anf"uhrer an, klagte, dass wir diese Nacht "uber so viel h"atten leiden m"ussen, da wir doch gestern eine dreymalige Versicherung h"orten, dass es nicht des Kaisers Napoleons Wille sey, dass die Einwohner misshandelt werden sollen, und den Uebertretern, mit harter Strafe gedrohet ward. Mit einem sehr freundlichen Gesicht, u. mit franz"osischer H"oflichkeit, rief ihr der Staabsoffizier zu: Madame, es sind gestern 80000 franz"osische Kinder in diese Stadt eingezogen, und da werden Sie leicht einsehen, dass unter so Vielen, sich auch unartige Kinder befinden m"ussen. Tr"osten Sie sich, das bringet der Krieg so mit sich. Er warf ihr noch eine Kusshand zu und ritt vor"uber. Nun blickten wir auf die ihm folgenden Reiter, welche bis zum Kopfe, mit allerley Sachen, Kleider, B"undel, Decken, Teppiche, etc. gleichsam eingepackt waren; und wir konnten daraus schliessen, dass es in den H"ausern, wo diese franz"osische Kinder "ubernachtet hatten, noch viel "arger, als bey uns zugegangen seyn m"usse. Dieses bewies uns die Nothwendigkeit desto "amsiger, f"ur das Fr"uhst"uck besorgt zu seyn, welches die uns verlassenen Soldaten unter so viele schreckliche Drohungen bestellet hatten. Darum schickten wir aus, Speisen zu kaufen, konnten aber nirgend etwas selbst f"ur zehnfache Bezahlung erhalten. Dieses machte uns nicht wenig Kummer, welcher dadurch auf das h"ochste stieg, als derselbe Herr Knauf, der uns am Sonntage in seinem Hause nicht aufnehmen wollte, fast nackend mit seiner Frau zu uns kamen, und baten, wir m"ochten ihnen erlauben, nur einen Augenblick bey uns eintreten zu d"urfen, da sie in der verflossenen Nacht, rein ausgepl"undert worden, wozu ihre Fabrique arbeiter das Meiste dazu beygetragen hatten. Sie hatten ihr ganzes ansehnliches Verm"ogen verloren, und waren mit einigen nur alten Lumpen umh"ullet. Hr. und Madame Czermack nahmen sie mitleidsvoll und sehr freundlich auf, und geleiteten sie ins Zimmer. Ich blieb noch draussen, um "uber die gnadenreiche F"ugung Gottes nachzudenken, welche Knaufs Herz so verh"artet hatte, unsern Bitten zu widerstehen, ohnerachtet er fr"uher mit Hr. Czermack befreundet, und auch mit mir bekannt war. Wie ich so da stand, trat ein wohlgekleideter franz"osischer Proviantcommissair zu mir, und bat mich, ihm ein Hemd zu verschaffen, weil er von Ungeziefer hart geplagt w"are. Ich sagte ihm, dass ich hier nicht wohne, dem Wirthe des Hauses fast alle seine Hemden abgenommen w"aren; dass ich aber erst Sonntag Morgen zwey weisse Hemden angezogen hatte, von denen ich ihm das Obere, Beste gern geben wollte; wenn es ihm keinen Ekel verursachte, dass ich es schon zwey Tage getragen habe. Er dankte mir, und da ich ihn einlud ins Zimmer zu treten, bat er mich, mit ihm in das offenstehende Appartement auf dem Hofe zu gehen, und ihm dort mein Hemde zu geben. Ich that dieses, und wartete auf ihn, um ihn nachher ins Zimmer geleiten zu k"onnen. Als er zu mir kam, dankte er mir mit einer Umarmung, und wollte mir eine russische Banknote von 100 Rubel geben, mit der Versicherung, dass dieses noch zu wenig sey f"ur das Vergn"ugen, welches er empf"ande, sein altes Hemd in den Abtritt werfen und ein reines auf seinem Leibe anziehen zu k"onnen. Ich nahm durchaus das Geld nicht an, und bezeugte ihm meine Freude, ihm mit etwas dienen zu k"onnen, was mir die verflossene Nacht, unter Misshandlungen, mit Gewalt h"atte abgenommen werden, und auch mein Leben zu gef"ahrden vermocht h"atte. Nun trat er ins Zimmer und da er h"orte dass wir alle Deutsch sprachen, sagte er: Ich bin auch ein Deutscher. Vermuthlich musste er mich f"ur einen Russen gehalten haben; weil er mit mir franz"osisch sprach; denn an meinem Sprechen konnte er wohl merken, dass ich mit dem Franz"osischen sehr wenig bekannt war. Unsere Angst stieg mit jedem Augenblick, in dem wir unsere fluchenden Soldaten erwarten konnten; und da dieses der Commissair bemerkte, fragte er nach der Ursache unserer Aengstlichkeit. Es ward ihm mitgetheilt; dass wir die R"uckkunft der Soldaten f"urchteten; worauf er Kreide foderte, und hinausging, ohne dass wir wussten was er dort gethan hatte. Kurz darauf kamen dann auch die Soldaten, und als sie bey ihrem Eintritt den Tisch noch nicht gedeckt fanden, fluchten sie f"urchterlich, und es w"urde uns gewiss "ubel gegangen seyn, wenn Gott nicht diesen Obercommissair – dessen Namen ich leider vergessen habe – f"ur uns zu einem Engel der Rettung herbeygef"uhret h"atte. Die Soldaten bemerkten ihn bey ihrem Eintritt nicht, da ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Tisch gerichtet war. Nun erhob er sich, und fragte in einem sehr strengen Ton, von welchem Regiment sie w"aren? – da sie Feldm"antel anhatten – auf die Erwiederung: Was dieses ihm anginge? antwortete er: Damit ich euch belangen kann, dass ihr es wagt, auf so unversch"amte Weise, in mein Quartier einzudringen. Nun fragte er sie „ob sie nicht an der Th"ure gelesen h"atten, dass dieses das Quartier des Obercommissairs NN sey?[“] So grob die Soldaten fr"uher waren, so h"oflich bewiesen sie sich jetzt gegen den Commissair, sie baten um Verzeihung, entschuldigten sich mit ihrer Unwissenheit, und verliessen uns mit w"uthenden Blicken, "uber die get"auschte Erwartung, ihre leere Magen f"ullen zu k"onnen. Kinderchens, sprach der Commissair, ich bleibe bey Euch; denn es stehen Euch noch gr"ossere Gefahren bevor; und dieser gute Mann, ward Augenscheinlich noch in der darauf folgenden Nacht – durch Gottes F"ugung – der Retter der Czermackischen, und noch einer russischen, in demselben Hause, wohnenden Familie, wie ich sp"ater erz"ahlen werde.
Nicht lange nachher, stand ich in der K"uche am offenen Fenster, und sah einen Obristen vor"ubergehen, der mehrere Leute auf der Strasse fragte: Ob sie ihm nicht ein gutes Quartier in der N"ahe des Kremmels anweisen k"onnten? Er ward aber von niemanden verstanden, obgleich er wechselsweise, bald franz"osisch, bald deutsch fragte. Schon war er vor"uber, als mir einfiel, dass sich das Haus an der Schmiedebr"ucke dazu eignen w"urde, welches ich bis jetzt bewohnet hatte, welches dem reichen Demidow, in Petersburg geh"orete, und eben so ger"aumig, als gut meubliret war. Sogleich eilte ich ihm nach, holete ihn noch in derselben Strasse ein, und erbot mich, ihm ein Quartier nachweisen zu k"onnen, wie er es w"unschte. Er dankte mir, und wir gingen mit einander der Schmiedebr"ucke zu. Da aber der Weg dahin sich in die L"ange zog, verlor er die Geduld, wollte mich mehreremale verlassen, indem ich ihn nach seiner Meynung immer weiter vom Kreml abf"uhrte, in dessen N"ahe er wohnen wollte. Es kostete mich M"uhe ihn begreiflich zu machen, dass diese vermeintliche Entfernung nur eine Folge, von den Kr"ummungen der Strassen herr"uhrete, aber dennoch das Haus welches ich ihm zeigen w"urde, von der Hinterseite, durch eine bequeme Pforte, ganz nahe zum Kreml f"uhrete. Noch auf der Schmiedebr"ucke wollte er zur"uckkehren, wovon ich ihn nur dadurch abzuhalten vermochte, dass ich eine solche Versicherung, wie ich sie ihm mehreremale gegeben hatte, nicht wagen w"urde, wenn ich meiner Sache nicht gewiss w"are, da er sich ja auf den ersten Blick selbst "uberzeugen k"onnte, ob ich ihn irre gef"uhrt habe? Ich fand bey unserer Ankunft auf der Schmiedebr"ucke, alles Menschenleer, aber die H"auser unversehrt. Ich zeigte dem Obristen das Haus schon in der Ferne, welches ihm zwar dem "aussern nach gefiel, aber dennoch nach seiner Meynung zu entfernt vom Kreml l"age. Die Pforte des Dimidowschen Hauses, war nicht wie alle "ubrigen (an denen wir vor"ubergingen) verschlossen, sondern nur angelehnt, so dass wir in den Hof gehen konnten. Mein erster Blick fiel auf sieben Bauren, welche mit arme S"under Mienen kniend auf den Boden lagen – unter denen ich mehrere Dwornicks erkannte – und umringt von vielen franz"osischen Soldaten, von denen Einige ihre Gewehre im Anschlag hielten, sie zu erschiessen. Sogleich bat ich den Obristen auf das Flehentlichste, der Sache Einhalt zu thun. Nun fragte er die Soldaten, warum sie diese Leute erschiessen wollten? und erhielt zur Antwort: Sie w"aren im anstossenden Hofe gewesen, und als einige aus Neugierde "uber die Mauer sahen, h"atten diese Leute auf sie geschossen. Jetzt gab ihnen der Obrist recht, und befahl die Leute zu erschiessen. Ich verdoppelte meine Bitten, so viel ich nur vermochte, und ersuchte den Obristen flehentlich, mir zu erlauben, dass auch ich die Leute befragen d"urfte, warum sie so unsinnig gehandelt haben? Ganz treuherzig erz"ahlten sie mir, dass Grigori Iwanitsch, der Oberuprawitel – den die Leute mehr wie Demidow f"urchteten – ihnen die Bewachung des Hauses anbefohlen, und ihnen gesagt habe, sie m"ochten jeden, der hineindringen wollte, sogleich erschiessen, wozu er ihnen auch Flinten und Pulver gab. Aber nach dem Abzuge des Uprawitels, war das Erste was die W"achter thaten, dass sie die Vorrathskammer, und den Keller, welche reichlich gef"ullt waren, erbrachen, hier frassen und soffen sie drey Tage, und erst am vierten (Dienstage) kam einer von ihnen aus dem Keller in den Hof, grade im Augenblick als die Soldaten "uber des Nachbars Mauer sahen. Sogleich rief er seinen Cameraden zu, und wie sie herbey gekommen waren, legten sie ihre Gewehre auf die Fremden, ihnen unbekannten G"aste an, gaben Feuer, ohne jedoch jemanden zu besch"adigen. Der Obrist lachte, dieses hielt ich f"ur ein gutes Zeichen, meine Bitten zu erneuern, und endlich befahl er, die Leute auf die n"achste Wachtstube zu bringen, damit sie ordentlich gerichtet werden k"onnten. Einen der "altesten Dwornicke machte ich jedoch gleich frey, weil er die Gelegenheit des Hauses, und die Schl"ussel kannte, die, wie ich recht vermuthet hatte, sich in des Uprawitels Wohnung befanden. Der befreyte Dwornick erhielt Befehl nach den Schl"usseln zu suchen, welches er freudig "ubernahm, und ich f"uhrte vor allen Dingen den Obristen durch alle drey H"ofe hindurch, hinaus auf den damaligen Aepfelmarkt, ganz nahe an der Nikolsky Pforte, nun sah er den Kreml so nahe vor sich, als w"are er nur durch eine Mauer von ihm geschieden. Meine Wohnung, ein h"olzerner Fl"ugel, dicht am steinernen Hauptgeb"aude befindlich, war nicht verschlossen, und ich fand noch alles genau auf derselben Stelle, wie ich es Freytag in der Nacht verlassen hatte. Der Kutscher muss also nicht mehr zur"uckgekommen seyn, und die Trinklust der W"achter rettete meine zur"uckgelassenen Haabseligkeiten. Der Obrist trat mit mir zugleich in meine Wohnung, befahl mir die verschlossenen Laden zu "offnen, und ohne noch den Dwornick mit den Schl"usseln abzuwarten, wollte er davon eilen, seine Kameraden zu suchen. Ich machte ihm bemerklich, dass ich Vogelfrey allein zur"uckbleibe, und leicht seine R"uckkunft nicht erleben k"onnte; nun foderte er Kreide, und schrieb an das Hofthor, welches sowohl zum steinernen, als h"olzernen Hause f"uhrte, – „Wohnung f"ur die Adjutanten des Marschalls Bertier [“]. – Nun sind Sie sicher, sagte er, es wird kein Mensch wagen ins Haus zu kommen, oder Ihnen etwas zu leide zu thun. In demselben Augenblick aber, ritt ein Piquet Gensdarmes vorbey. Der Obrist rief den Offizier ans Fenster, nannte seinen Namen, und bat ihn zwey Mann zur Sauve Garde, bey diesem Hause stehen zu lassen, bis er und seine Cameraden Besitz davon genommen haben w"urden. Sogleich befahl der Offizier zween Gensdarmes, hier Posto zu fassen. Sie f"uhrten ihre Pferde in den Hof, stiegen ab, und stellten sich an der Pforte hin. Ueber eine Weile, kam einer derselben ganz krumm geb"uckt, und sich den Unterleib haltend, zu mir ins Zimmer, und bat mich: Ob ich ihm nicht etwas zu essen geben k"onnte, indem er dem Hungertode nahe sey. Ich suchte im Hause umher, und fand nichts als eine Sch"ussel Fizebohnen, die fast unber"uhret am Freytage vom Mittagessen nachgeblieben war; aber in den vier Tagen, war beynahe Handhoch Schimmel darauf gewachsen, da sie bis dahin in einem verschlossenen, und dumpfichten K"uchenschranke gestanden hatte. [„]Der Hunger ist der beste Koch“ behauptet ein Spr"uchwort; welches sich, mindestens diesesmal vollkommen bew"ahrete. Der hungrige Soldat verzehrete alles was in der Sch"ussel vorhanden war; versicherte ges"attiget zu seyn, da ich in meiner Wohnung von bereyteten Speisen nichts mehr finden konnte, da unsere zur"uckgelassene Leute, w"ahrend meiner Abwesenheit alles verzehret hatten. Zur ihrem Lob muss ich sagen dass dieses das Einzige war was sie sich zugeeignet hatten, bevor sie sich aus dem Hause entfernten, da sie, wenn sie gewollt h"atten, alles was vorhanden war, und unverschlossen in den Zimmern lag, mitnehmen konnten. Genug, es fehlte nicht das Mindeste in meiner Wohnung, wie ich sie wieder betrat. Der Gensdarms war voll Dankbarkeit, da er einsah, dass er wohl noch l"anger ohne Speise h"atte bleiben m"ussen, wenn ich nicht gl"ucklicherweise, die verschimmelten Bohnen gefunden, u. ihm geben konnte. Ich wagte es daher, ihn zu bitten, einer Person sicheres Geleit zu geben, die ich mit der Kunde von meinem Leben, zu einem meiner besten Freunde, schicken wollte, falls er dieses thun k"onne. Er sagte „Mein Camerad und ich, sind Sauwe Garden, und keine Schildwachen. Schon die Schrift an der Pforte w"urde gen"ugen, aber, wenn nur Einer von uns Beyden hier bleibt, so ist dieses f"ur die Sicherheit des Hauses hinl"anglich.[“] Ich schrieb sogleich an Herr Czermack, lud ihn ein, mit den seinigen unter Schutz des Commissairs, oder Begleitung des Gensdarmes zu mir zu kommen, da meine Wohnung mehr Bequemlichkeit, und Sicherheit als die seinige gew"ahre; und wir noch den Vortheil h"atten vereint seyn zu k"onnen. Im Hofe fand ich eine alte B"auerin, welche gegen ein gutes Trinkgeld bereit war, unter diesem sichern Geleite, das von mir geschriebene Billet Hr. Cz. zu "uberbringen; da der Gensdarmes allein, nie die Strasse und die Wohnung des Hr. Cz. aufgefunden h"atte; und beyde machten sich auf den Weg. Mittlerweile kam der von mir befreyete Dwornick und sagte mir „Er habe den Hauptschl"ussel zum grossen steinernen Hause nicht finden k"onnen,[“] aber einen Andern, der zur obern leer stehenden Etage, des h"olzernen Hauses f"uhrete brachte er, und wir konnten nun in das grosse Haus kommen. Wir machten sogleich den Versuch, fanden alle Zimmer offen, und konnten von Innen auch den untern Eingang "offnen. Bald darauf trafen die Adjutanten des Marschalls Bertier, die Herren Obristen Flahau, Noail, Bongard, Couteil ein. Sie fanden das Haus, gross, bequem, gut meubliret, und dankten mir, als h"atte ich sie aus Gnaden aufgenommen. Dass ein solches Haus nicht leer bleiben konnte, vermochte ich mir leicht zu denken. Es kam aber darauf an, wer es in Besitz nehmen w"urde; und da der Obrist Noaill, welchen ich dahin f"uhrte, gut Deutsch sprach, hoffte ich, bey ihm doch mehr Einfluss gewinnen zu k"onnen als bey einem Anderen, und also auch mehr zum Schutz als zum Verderben des Demidowschen Eigenthums zu thun verm"ogen. Ausser den Obristen Bongard, sprachen alle "ubrigen Adjutanten sehr gut Deutsch. Ich ward von allen Monsier le Maitre genannt; und ward wie ein Haase gehetzet, da der Eine bald dieses, ein Andrer jenes foderte. Am meisten machten mir die Bedienten zu schaffen, deren jeder von mir verlangte, ich sollte ihm anweisen, wo er das Ausgepackte hinstellen sollte. Wohl mehr als 100mal musste ich die Treppen hinauf, und hinab, in den Stall, Wagenremisen, allen drey H"ofen, K"uchen, etcr. rennen. Ich hatte selbst den ganzen Tag "uber nichts gegessen, und fiel um halb zwey Uhr nach Mitternacht, ohnm"achtig, und angekleidet wie ich war auf ein Sopha in meinem Zimmer hin; hatte aber meiner Berechnung nach nicht lange so gelegen, als ich meinen Namen rufen, und an der Hauspforte klopfen h"orte. Ich erkannte sogleich Herrn Czermacks Stimme, eilte hinaus, fand ihn, seine Frau und Kinder, seine Magd, und Bedienten, und den edlen Commissair, der ihnen Pferde vor ihren Wiener Reisewagen geschaffet, und sie hieher geleitet hatte. Schon fr"uher hatte ich von Herrn Czermack auf mein an ihn geschriebenes Billet die Antwort erhalten: Da ihn Gott so wunderbar mit den Seinigen, in seiner bisherigen Wohnung gesch"utzet habe, und es des Herrn F"ugung war, dass ihn Knauf nicht aufnahm; er es jetzt f"ur seine Pflicht halte, ferner in dem Hause zu bleiben, wo er sich jetzt bef"ande, und sich ganz dem alleinigen Schutze Gottes zu "ubergeben. Ich gestehe, dass dieser Glaubensmuth mir Freude machte, u. mir selbst nicht wenig zur Ermunterung gereichte. Doch der Mensch denkt, und Gott lenkt. Es war die F"ugung des Herrn, dass die 2 1/2 Tage die ich in Hr. Cz. Hause seyn musste, das Mittel werden sollten, ihm und den Seinigen viele Monate einen sichern und sorgenlosen Aufenthalt in meinem Hause zu bereiten. Nachdem diese sp"at angekommenen, und eine aus sechs Personen bestehender russischen Familie – die ich in der vorigen Nacht von der Pl"underung gerettet hatte wie ich fr"uher erz"ahlt habe – bey mir eintraten, und die Sachen aus den Wagen hereingetragen waren; ermunterte der gute Commissair Hr. Cz., sobald als m"oglich zur"uck zu eilen, um noch so viel als m"oglich aus der verlassenen Wohnung zu retten, der sich, das immer weiter sich verbreitende Feuer, – welches am Montag Nachmittage, in der Fischgasse ausbrach – schon so sehr genahet hatte, dass Czermacks ohne Gefahr nicht dort bleiben konnten. Wie hatte aber die Vorsorge Gottes, die H"ulfe auf wunderbare Weise schon fr"uher vorbereitet. H"atte der Commissair nicht Pferde geschaffet und die Fliehenden begleitet, so h"atten sie den Wagen, und ihre besten Sachen zur"ucklassen m"ussen, und sie w"aren auf der Strasse leicht nackt ausgepl"undert, und misshandelt worden. Auf alle F"alle aber in der nachfolgenden b"osesten Zeit, dachlos, und ohne Nahrungsmittel bleiben m"ussen. Eben so w"urde es mir gegangen seyn, wenn ich den Obristen Noaille, nicht gesehen, um ihn ins Demidowsche Haus bringen zu k"onnen. Nun hatten wir Alle, durch Gottes Gnade, Wohnung und Speise, Sicherheit der Personen, und mindestens die n"othigsten Bed"urfnisse. Bald kehrte Hr. Cz. und der Commissair unverrichteter Sache zur"uck. In der kurzen Zeit, wie die Fahrt nach meiner Wohnung dauerte, hatte das Feuer schon beynah das Ende der Gasse erreicht, in deren Mitte das Haus des Geistlichen stand, bey welchem Hr. Cz. sich eingemiethet hatte, welches damals noch unversehrt war. Dieses scheinet unglaublich, und ist doch wahr. Es ist kaum m"oglich, sich eine Vorstellung zu machen, mit welcher Schnelligkeit ein ganzer Stadttheil in vollen Flammen stand, wie ich nachher mich selbst zu "uberzeugen Gelegenheit hatte, wenn ich mich des Nachts, oben in dem Th"urmchen befand, welches "uber meinem Hause war, von wo aus man weit umher sehen konnte. In stockfinstrer Nacht, lagen die Stadttheile umher, bis pl"otzlich auf viele D"acher zugleich, kleine Fl"ammchen sichtbar wurden, u. nun dauerte es nicht lange, so glich der ganze Stadtheil, wo diese feuerigen Vorbothen sich zeigten, einem ganzen Feuermeere; denn, die ganze Zeit als es in Moskau brannte, wehete ein heftiger Wind, als ob er sich zum Verderben der Stadt verschworen h"atte, die aufsteigenden Flammen wurden von dem starken Winde horizontal niedergedr"uckt. Er fuhr "uber sie hin, und so glich das Ganze mehr einem feurigem Meer, als einem gew"ohnlichen Brande von H"ausern. An Retten, u. l"oschen, war nicht mehr zu denken, obwohl Napoleon beym Beginn des Brandes, den er f"ur zuf"allig hielt, die strengsten Befehle zum L"oschen gab, und auch pers"onlich auf mehreren Brandstellen erschien. Da er aber erfuhr, dass die vorhandenen Spr"utzen abgef"uhret waren, und mehrere Stadttheile zu gleicher Zeit zu brennen anfingen, gab er das vergebliche Bem"uhen, dem Feuer Einhalt zu thun auf. Nur auf diese Weise war es m"oglich dass 4/5 oder 5/6 Theile einer so weitl"auftigen Stadt wie Moskau es war vom Montage bis Sonnabend – in f"unf Tagen abbrennen konnte. Unser gute Comissair, w"ahlte sich am andern Morgen in dem einem grade "uberstehenden Hause, welches dem Obristen Tolbuchin geh"orte, eine Wohnung, und blieb noch mehrere Wochen, unser Freund und Wohlt"ather. Ich bedaure es schmerzlich, seinen Namen vergessen zu haben, welches aber daher kam, dass wir ihn, von dem Augenblick an, da er sich uns als Landsmann zu erkennen gab, nur immer Herr Obercomissair, und nicht bey seinen Namen nannten. Wie die im Demidowschen Hause einquartierten Obristen am Mitwoch Morgen erwachten, ging mein Laufen und Rennen wieder an, doch hatte ich grossen Beystand von Hr. u. Mad. Cz. die mir willig abnahmen, was sie verrichten konnten. Besonders kam die Sprachkunde der Mad. Czermack uns sehr zu statten, welche dolmetschen u. "ubersetzen konnte, wo meine wenigen Kenntnisse der franz"osischen Sprache nicht ausreichen konnte. Mitwoch Vormittag foderten mich zwey Obristen auf, ihnen den n"achsten Weg nach dem Kreml zu zeigen. Ich gehorchte und f"uhrte sie durch die sogenannte Nikolsky Worota. Als wir bey Gastinnoi Dwor, oder den Buden, ankamen, erblickte ich eines, gewiss in seiner Art, einziges Schauspiel. Tausende von Soldaten aller Waffengattung, und fast eben so viele gemeine Leute in russischer Tracht, waren bem"uhet, die ge"offneten Buden auszuleeren, und die noch Verschlossenen, in eben der Absicht zu erbrechen. Alles ging dabey so friedlich und freundschaftlich zu, obwohl sich die beyden Nationen nicht besprechen konnten. Jeder nahm, was ihm gefiel, keiner hinderte den Andern, da genug f"ur Alle vorhanden war. Nur sah man oft, von einem, einen fr"uher gesammelten B"undel Waaren auf die Erde hinwerfen, sobald er in einer andern Bude etwas fand, was ihm mehr gefiel, oder er besser zu gebrauchen meynte. Das Hingeworfene, ward sogleich von Andern aufgenommen, davon getragen, oder sp"ater mit etwas besserm verwechselt. Der ganze Anblick glich einem Gabelfr"uhst"ucke, bey welchem jeder der eingeladenen G"aste, sich das w"ahlet was seinem Gaumen am meisten behaget. In den ge"offneten Buden, wo sonst eingemachte Fr"uchte verkauft wurden, griffen die Pl"underer mit schmutzigen H"anden, ohne Ekel, der Reihe nach hinein, und ob ich wohl nahe an zwey Stunden herum ging, h"orte ich keinen Wortwechsel, vielweniger Zank. Nur einmal sah ich, dass ein franz"osischer Soldat, einem Russen ein St"uck Tuch wegnahm, welches er nur mit grosser Anstrengung vermochte, weil der Bauer es nicht lassen wollte. Als aber dennoch der Soldat das Tuch in seine Gewalt bekam, lief ihm der Bauer nach, und machte Versuche, es ihm wieder zu entreissen. Da warf ihm der Soldat einen Sack von etwa 3/4tel Arschin in die L"ange, und etwas weniger breit zu, und eilte davon. Der Bauer "offnete den Sack, blickte hinein, und fing ein so gr"assliches Geschrey an, von dem man nicht wusste, ob es Freude, oder Jammer bedeuten sollte, wodurch er die Augen der Umherstehenden, auf sich zog. Der Bauer schrie immer lauter, und fing endlich so schnell als m"oglich zu laufen an, den Sack mit beyden H"anden an die Brust dr"uckend, bis ich ihn aus dem Gesichte verlor, obgleich ich ihn aus der Ferne noch h"oren konnte. Vermuthlich war der Sack mit Banknoten gef"ullt, deren Werth der Soldat nicht kannte, der Bauer aber auf den ersten Blick zu sch"atzen wusste, und daher seine sich durch Lachen und Weinen ge"ausserte Freude "uber diesen unerwarteten grossen Fund. Auch der Obrist Couteil nahm einem mit Safianstiefel beladenen Soldaten ein paar Gr"unfarbige ab, welche dieser ihm willig "uberliess, und als er bald darauf einem Andern, mit Zobelfellen sah, bat er sich Eines aus, welches er zerschneiden, und als "aussere Verbr"am an den obern Rand der Stiefeln heften lassen wollte, weil er – wie er scherzend sagte – im kalten Russland w"are. Sobald die Obristen in den Kreml gingen, besuchte ich das Schillingsche Haus, wo ich lange klopfen musste, bis ich eingelassen ward. Ich fand den zur"uckgelassenen Comptoirdiener Settelmeyer wohlgemuth, weil noch kein Franzose ins Haus gekommen, und niemand ihn beunruhiget hatte. Eigentliche Pl"underung, wie sie nachher befohlen, und 17 Tage mit aller Oeffentlichkeit gedauert hatte, fand damals im Allgemeinen noch nicht statt. Alle Excesse geschahen nur, wenn sich eben eine gute Gelegenheit dazu fand, und sie entweder heimlich ver"ubet, oder bey Nacht vollbracht werden konnten, und so kam ich auch an diesem Tage gl"ucklich nach Hause. Am Abend kamen die Obristen, und sagten uns, Napoleon habe kurz vor ihrer Entfernung aus dem Kreml, die Stadt verlassen, und sich nach Petrowsky begeben, weil er erfahren habe, dass in dieser Nacht, der bereits unterminirte Kreml in die Luft gesprengt werden sollte. Sie riethen uns, in ihrer Begleitung gleichfalls nach Petrowsky aufzubrechen; welches ich aber aus folgendem Grunde zu thun verweigerte. Erstens, weil ich – dem Schutze Gottes vertrauend – meine Wohnung nicht eher verlassen wollte, bis es die h"ochste Nothwendigkeit durchaus gebieten w"urde. Dann hielt ich uns – nehmlich Hr. Cz. Familie, und alle die bey mir eingekehrt waren, mit den Kindern, im freyen Felde bey Petrowsky – denn auf eine Wohnung war dort nicht zu rechnen – weniger sicher wie in der Stadt; und endlich, war es leichter, mein Haus zu verlassen, als wieder dahin zur"uckkehren zu k"onnen. Als aber der Obrist Couteill sah, dass mein Entschluss fest stand, so liess er die "ubrigen drey Obristen (seine Kameraden) nach Petrowsky abziehen, und blieb allein bey uns, um uns zu sch"utzen, und befielt mehrere Diener, Soldaten, und einen grossen angespannten Proviantwagen zur"uck, um im Falle der Noth, die Kinder und Personen, die nicht gehen konnten, nach Petrowsky f"uhren zu k"onnen. Die ganze Nacht brachten wir auf dem Hofe zu, und hatten genug zu thun, die fliegenden Feuermassen, sogleich zu l"oschen, die immerw"ahrend auf unsere D"acher, und andere z"undbare Dinge niederfielen, da grade einer der n"achsten Stadttheile an der Schmiedebr"ucke, in dieser Nacht abbrante. Am andern Morgen zog Napoleon wieder in die Stadt, weil sich das Ger"ucht von unterminirung des Kremls nicht best"atigte, und eine dessfallsige Untersuchung bewies, dass keine Gefahr dieser Art vorhanden war. Das Feuer w"uthete Tag und Nacht fort, und wie ich eben sagte „Es brannte planm"assig[“], nehmlich so dass in jeder Nacht (trotz der nunmehrigen Wachsamkeit der franz"osischen Beh"orde) irgend ein Stadttheil in Asche gelegt ward; abgerechnet, wozu der immerw"ahrende Wind seinerseits that, das Feuer weiter zu verbreiten, ohne das es einer besondern Ansteckung bedurfte.